Am 4. April 1986 traf die Vienna im Mittleren Play-off auf den Wiener Sportclub, das kleine Wiener Derby wurde zum großen. 15.000 Zuschauer wollten Mario Kempes und Hans Krankl sehen.
Text: Mathias Slezak & Markus Rattenböck
Zwischen dem Stadion Hohe Warte und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik verläuft ein Weg. Seit 2011 ist er nach Karl Decker, dem Rekordtorschützen der Vienna, benannt. Am 4. April 1986 hatte er noch keinen Namen, er verband ganz einfach die Klabundagasse mit der Perntergasse. Die vielen Menschen, die auf ihm unterwegs waren, machten sich um seine Namenlosigkeit keine Gedanken, sie waren voll und ganz mit zwei großen Namen des Weltfußballs beschäftigt, die sie an diesem Freitagabend nun scheinbar doch noch sehen konnten. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, dass man weiter oben noch Zutritt zur Naturarena Hohe Warte bekommen konnte.
Und in der Tat hatte dort auf der Böschung jemand den Maschendrahtzahn aufgezwickt und zur Seite gerollt. So gelangten noch Tausende weitere Zuschauer auf die mit offiziell 11.000 Zuschauern eigentlich bereits restlos ausverkaufte Hohe Warte. Der Hügel der Naturarena war vor lauter Menschen ganz schwarz. Schätzungen gehen von insgesamt 15.000 Zuschauern aus, die das Duell K gegen K sehen wollten – Mario Kempes gegen Hans Krankl. Sie standen sich beim Spiel Vienna gegen Sportclub im Mittleren Play-off gegenüber.
Der damals noch handgeschriebene Spielbericht vom 04.04.1986
Jahre zuvor waren sich die beiden Ausnahmestürmer bereits in der spanischen Liga gegenüber gestanden, damals im Camp Nou und im Estadio Mestalla. Bei der WM 1978 waren sie jeweils zu Nationalhelden in ihren Ländern geworden, beide waren Torschützenkönig in Spanien – und hätten beinahe ein Sturm-Duo bei Valencia gebildet. „Die spanischen Zeitungen haben sogar schon vom neuen Traumsturm geschrieben, aber ich habe mich dann doch für den FC Barcelona entschieden“, erinnert sich Krankl. Die Wege der beiden haben sich immer wieder gekreuzt, Krankl bezeichnet Kempes heute als Freund. „Ich hätte natürlich sehr gerne mit Mario gespielt. Denn er war für mich 1978 der beste Spieler des Turniers, als Kapitän und Torjäger hat er Argentinien zum Titel geführt. Ein Weltklassestürmer und ein super Mensch.“
„GRÖßTE WELTSENSATION“
Plötzlich standen sich die beiden wieder auf dem Spielfeld gegenüber. Krankl hatte im Dezember 1985 Rapid verlassen und bereitete sich mit Wiener Sport-Club auf das Frühjahr vor, als am 29. Jänner 1986 die Vienna ihren Neuzugang Mario Kempes präsentierte. Der „Matador“ und der „Goleador“ im Mittleren Play-off. „Selbst für mich als Österreicher war das ein Kulturschock“, erinnert sich Krankl, „aber für Mario muss das ja noch viel schlimmer gewesen sein.“
Auch so mancher Redakteur konnte es nicht glauben. „Das ist ungefähr so, als wäre der Papst im Frühjahr Pfarrer von Grinzing“, titelte die Kronen Zeitung, als die Vienna den Weltmeister und Torschützenkönig der WM 1978 im Alter von 31 Jahren von Hercules Alicante nach Österreich holte. Krankl bezeichnet es noch heute als „größte Welt-Sensation im Fußball“, dass Kempes damals nach Österreich gewechselt ist.
FORMEL 1-FAHRER & MICHELIN-MÄNNCHEN
Möglich machte das die Sportagentur ISPRO, die ein Viertel der Zuschauereinnahmen bekommen sollte und Kempes mittels Einzelspielersponsoring vermarkten konnte. Rund 50.000-60.000 Schilling (~4.000 Euro) kostete die Brust von Kempes pro Spiel, berichtete der KURIER. Anfangs wurde sie in jedem Spiel von einem anderen Unternehmen geziert. „Das Trikot hatte so viele Werbeaufschriften auf der Brust, dem Rücken und den Ärmeln – ich habe wie ein Formel 1-Fahrer ausgesehen“, erinnert sich Mario Kempes in seiner Biografie „El Matador“.
Anfangs sah er manchmal sogar ein wenig wie ein Michelin-Männchen aus, denn die Kälte machte ihm zu schaffen. Vom 20 Grad warmen Valencia ging es quasi volley ins Trainingslager nach Drosendorf im Waldviertel. Dort hatte es minus 10 Grad und auch die ersten Vorbereitungsspiele fanden bei eisigen Temperaturen statt. Kempes über sein Winter-Outfit: „Zwei paar Socken, dazwischen Thermosocken, eine lange Hose unter der kurzen, oben ein Thermo-Shirt, ein Pullover, darüber das Trikot mit der Nummer 10.“
HALBZEITDUSCHE BEIM DEBÜT
Bei seinem Meisterschaftsdebüt auswärts beim SAK wollte ihm der Masseur etwas Gutes tun und rieb dem frierenden Kempes die Beine mit einer Wärmesalbe ein. Kurz nach Anpfiff brannte die Haut des Argentiniers wie Feuer. „Was zum Teufel hast du mir da raufgeschmiert?“, schrie er den Masseur an, als er in der Nähe der Trainerbank war. Der – des Spanischen nicht mächtig – hob einfach den Daumen und grinste. Kempes hüpfte an diesem Tag bereits in der Halbzeitpause kurz unter die Dusche. Bei seinem zweiten Heimspiel für die Vienna traf Kempes, der von Trainer Ernst Hlozek hinter den Spitzen aufgeboten wurde, erstmals für die Blau-Gelben. Dann rückte das Spiel gegen den Sportclub näher und die Medien kannten kaum ein anderes Thema als das Duell K gegen K. Kempes erinnert sich an die mediale Vorberichterstattung: „Da haben wir den großen Vereinen wie Rapid, Austria oder dem FC Tirol die Show gestohlen. Die Zeitungen schrieben tagelang vor allem von diesem Match.“
AUF DEN SCHULTERN DER FANS
Am Ende entschied keiner der beiden Weltstars das Spiel, auch wenn Kempes seine Füße im Spiel hatte. Nach einem Schussversuch des Argentiniers verwertete der 21-jährige Thomas Niederstrasser den Abpraller in Minute 63 zum 1:0-Siegestreffer für die Vienna. Mario Kempes lieferte an diesem Tag eine seiner besten Partien im Trikot der Vienna, wurde bei seiner Auswechslung kurz vor Schluss mit Standing Ovations bedacht und nach dem Spiel von den Fans auf den Schultern getragen.
Die Highlights der Partie im Video:
Zum Ende der Frühjahrssaison 1986 hatten sowohl Kempes als auch Krankl ihre Missionen erfüllt, die Vienna wurde Erster, der Sportclub Dritter im Mittleren Playoff. Beide spielten in der kommenden Saison in der Bundesliga. Mario Kempes blieb noch ein Jahr bei der Vienna und spielte danach noch für St. Pölten und Krems. Hans Krankl ging ebenfalls noch kurz nach Krems und später zu Austria Salzburg, bevor er seine Karriere 1989 beendete.
Mario Kempes letztes Vienna-Tor im Video:
RÜCKKEHR AUF DIE HOHE WARTE
Im Sommer 2019 war Mario Kempes nach langer Zeit wieder einmal auf der Hohen Warte. Die Vienna feierte ihren 125. Geburtstag und hatte ihren „Matador“ als Stargast einfliegen lassen. Drei Tage lang gab es volles Programm. Er plauderte beim Hauptsponsor der Vienna, wurde mit einem 125-Jahre-Trikot über den Dächern von Wien fotografiert und präsentierte seine Autobiografie gemeinsam mit Hans Krankl im Spanischen Kulturinstitut. Natürlich war er auch beim offiziellen Geburtstags-Abend auf der Hohen Warte zu Gast. An einem lauen Sommerabend umarmte er alte Kollegen, posierte für unzählige Erinnerungsfotos, sah seinem jüngeren Ich auf den Bildschirmen beim Torjubel zu und sprach auf der Bühne über seine Erinnerungen an die Zeit bei der Vienna.
Hinter dem Festzelt erhob sich der Hügel der Naturarena. Irgendwo hinter den Bäumen verläuft der Karl-Decker-Weg. 33 Jahre zuvor waren dort Tausende Menschen unterwegs. Sie hatten gerüchteweise gehört, dass es doch noch eine Möglichkeit gäbe, den wohl größten Spieler zu sehen, der je für die Vienna gespielt hat.
125 Jahre Vienna-Gala: Mario Kempes (3.v.r.) mit Vienna-Vizepräsident Robert Hammerl, Vienna-Legende Hans Buzek und seinen ehemaligen Mitspielern Wolfgang Kienast, Gerhard Steinkogler und Wolfgang Höltl.
Dieser Artikel ist in der 80er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich im ballesterer-Onlineshop. Verpassen Sie ab sofort keine Ausgabe des Bundesliga-Journals mehr und sichern Sie sich Ihr Abo unter bundesliga.at/journal-abo!