90er-Journal: „Sierra, Sierra Madre..."

9. December 2020 in ADMIRAL Bundesliga

Das Jahrzehnt begann so, wie es geendet hat - mit einem Titel des FC Tirol. Urgestein Michael Baur, bei beiden Erfolgen ein entscheidender Faktor, erinnert sich zurück und nennt die Unterschiede zwischen den Meistertrainern Ernst Happel und Kurt Jara.

TEXT: FRANZ HOLLAUF, FOTOS: GEPA PICTURES

15. Mai 1990, Tivoli-Stadion: In der 36. und letzten Runde empfängt der FC Swa­rovski Tirol den VSE St. Pölten. Das Spiel (Endstand 5:3) hat nur noch statistischen Wert, stehen die Innsbrucker doch schon seit der 33. Runde als Meister fest. Im Sta­dion heizten die Zillertaler Schürzenjäger lange vor dem Spiel kräftig ein und gaben ihre größten Songs zum Besten. In der zweiten Halbzeit begann die Nordtribühne spontan, den Refrain zu „Sierra Madre“ lautstark zu singen. Das Stadion glich einem Tollhaus. Die heimliche Vereins­hymne war damit geboren und ist bis heute untrennbar mit der Innsbrucker Fußbal­lerseele verbunden.

STARTRUPPE RUND UM HANSI MÜLLER

Trainer Ernst Happel hatte die Tiroler Landeshauptstadt zum In(n)begriff des heimischen Fußballs gemacht. Stars wie Peter Pacult, Bruno Pezzey, Vaclav Danek, Hansi Müller, Christoph Westertha­ler oder Nestor Gorosito beherrschten ihre Gegner fast nach Belieben. Sechs Punkte Vorsprung hieß es am Ende, der Titel konnte verteidigt werden. Michael Baur, damals erst 20 Jahre alt, erinnert sich im Gespräch mit dem Bundesliga-Journal zu­rück: „Mein erster Meistertitel. Ich bin erst im Herbst zur Mannschaft gestoßen, da war ich mit den Stars noch per Sie. Ich habe 24 Spiele bestritten, das war für mich der Sprung in den WM-Kader für Italien.“ Vor allem Happel habe sich damals bei Teamchef Josef Hickersberger für ihn stark gemacht. „Ich habe Happel immer dafür bewundert, wie er mit den jungen Spielern umgegangen ist. Die waren für ihn gleich viel wert wie die arrivierten“, verrät Baur.

1:9-DEBAKEL BEI REAL

Mit der Happel-Ära verbindet man aber auch die wohl schmerzhafteste Niederlage der Tiroler Vereinsgeschichte. Am 24. Ok­tober 1990 unterlag man im Hinspiel der 2. Runde des Europacups der Landesmeis­ter auswärts bei Real Madrid mit 1:9. „Happel war überzeugt, dass wir Real schlagen können und hat uns offensiv ein­gestellt. Das ging in die Hose. Auch, als wir schon aussichtslos zurücklagen, spiel­ten wir weiter nach vorne“, erinnert sich Baur.

Zum Herbstausklang 1990/91 lagen die Blau-Weißen in der Liga noch zwei Punk­te vor der Wiener Austria an der Spitze, in einem Herzschlagfinale aber hatten dann die Tiroler gegenüber den „Veilchen“ das schlechtere Ende für sich. Die Meister­schaft wurde nur auf Grund des schlechte­ren Torverhältnisses verfehlt. Gleichzeitig wurde damit das Ende der Ära Happel ein­geläutet. Im Winter 1991/92 trat der „Wödmasta“ den Posten als ÖFB-Teamchef an. Sein Amt bei den Innsbruckern übernahm Co-Trainer Horst Hrubesch. Nach Saisonschluss gab Swarovski die Li­zenz an Wacker Innsbruck zurück. Es folg­ten Jahre der Tristesse.

Tirol-Trainer Ernst Happel an der Seite seines Co-Trainers und Nachfolgers Horst Hrubesch

DUNKLES KAPITEL

Immer wieder wechselte der Haupt­sponsor, große sportliche Erfolge blieben dennoch aus, selbst, als Hans Krankl 1994 als Trainer geholt wurde, um das dortige „Dream Team“ rund um Peter Stöger, Souleyman Sane und Manfred Schwabl zu betreuen, das für viel Geld zusammenge­stellt worden war. Als die Finanzierung zu­sammenbrach - Tirol-Gönner und Vor­standsmitglied Klaus Mair wurde wegen Veruntreuung einer halben Milliarde Schilling verhaftet - hatte auch Krankl ge­nug. „Das war keine schöne Zeit. Die Stimmung war schlecht. Der Verein wollte nach Happel neue Wege gehen, nicht jeder konnte sich damit anfreunden.“

Phasenweise verirrten sich oft nur bis zu 2.000 Fans auf den Tivoli. Erst als Martin Kerscher am 1.Mai 1997 das Präsidenten­amt übernahm, herrschte wieder so etwas wie Aufbruchstimmung. „Tirol muss wie­der Meister werden“, hieß seine Vision. Der sportliche Erfolg stellte sich aber erst ein, als ein Tiroler Urgestein heimkehrte: Kurt Jara, mit Innsbruck in den 70er-Jahren drei Mal Meister. Er übernahm im Jänner 1999 das Traineramt beim FC Ti­rol. Ziel: Meister innerhalb der nächsten drei Jahre. Doch damit klappte es schon in der darauffolgenden Saison 1999/2000. Und das, obwohl der Kader keineswegs mit großen Namen gespickt war. „Eine Durchschnittstruppe“, ätzten Wiener Me­dien. Jara, knapp zehn Monate später da­rauf angesprochen: „Ein Beweis, dass die ,Experten’ Ahnungslose sind. Ein Kurt Jara ist ja kein Blöder. Er würde nie irgend­wo hingehen, wo nicht super Kicker sind. Man muss sie nur öfter mal daran erin­nern.“

Die spätere Meistermannschaft des FC Tirol beim Fotoshooting im Juni 1999

HERZSCHLAGFINALE 2000

Vor allem die Neuerwerbungen Walter Kogler und der polnische Goalgetter Radoslaw Gilewicz entpuppten sich als wahre Goldgriffe. Schon in der ersten Runde wurde mit dem 2:1-Heimerfolg über Rapid ein erstes Ausrufezeichen gesetzt. Die Ent­scheidung um den Titel fiel dennoch erst am letzten Spieltag im Fernduell mit Sturm Graz. Die Innsbrucker gewannen zu Hause gegen die Wiener Austria mit 2:1, Sturm spielte in Ried nur 1:1. Nur kurz, als die Innsbrucker das 1:1 kassierten und Sturm in Führung lag, war der Titel gefährdet. Aber Baur erlöste in der 53. Mi­nute per Kopf (nach Freistoß von Roland Kirchler) die angespannten Nerven.

Es war der letzte Titel im altehrwürdi­gen Tivoli-Stadion. „Der Titel 2000 hatte für mich einen höheren Stellenwert als der erste, weil ich als Kapitän eine Führungs­rolle hatte. Und die Schale als Erster in Empfang zu nehmen, war schon ein beson­deres Gefühl.“ Neben Baur waren Oliver Prudlo, Robert Wazinger und Alfred Hörtnagl auch beim Titel 1990 schon da­bei. Baur: „Diese Saison 1999/2000 hat vor allem uns Arrivierte, die damals dabei waren und in den Jahren danach oft durch die Hölle gegangen sind, zusammenge­schweißt.“

Der Meistertitel 2000 im Video:

JARAS VERDIENST

Parallelen zu den beiden Meistertrai­nern Happel und Jara zu ziehen, sei schwer, wie Baur erklärt. „Happel war ein Alphatier. Er hat sich um alles geküm­mert, selbst um die Zimmereinteilung im Hotel. Jara dagegen hat Kompetenzen an seine Assistenten abgetreten.“ Respekts­personen waren beide. „Jara hat vielleicht noch etwas mehr den persönlichen Kon­takt zu den Spielern gesucht und uns um unsere Meinung gefragt. Er hat den Spie­lern eine Wertigkeit gegeben und hatte ein Gespür dafür, was die Mannschaft stärker machen könnte.“ Wobei er auch schmun­zelnd zugibt: „Einen Sturschädel hatten beide.“

Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo

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