90er-Journal: Die Fusion, die keine war

21. December 2020 in ADMIRAL Bundesliga

Tausende Fans des FC Linz strömten im Mai 1997 zum letzten Derby gegen den LASK. Sie waren dabei, ihren Verein zu verlieren. Doch ihre Trauer war nicht umsonst.

TEXT: MORITZ ABLINGER, FOTOS: GEPA PICTURES

Es war bloß Zufall, das Los hatte ent­schieden. Für den vorletzten Spieltag der Saison 1996/97 war ein Linzer Derby an­gesetzt. Sportlich war es völlig bedeu­tungslos. Der LASK hing im Tabellenmit­telfeld fest, der FC Linz konnte zwar rech­nerisch noch absteigen, es war aber ohne­hin egal. Denn als das Derby um 15:30 am Mai 1997 angepfiffen wurde, war klar, dass es den blau-weißen Verein nach Ende der Saison nicht mehr geben wird.

Zehn Tage zuvor hatten die beiden Ver­einsvorstände im Hotel Ramada fernab der Innenstadt einen Vertrag unterschrie­ben. „Die Fusion war alternativlos“, sagt FC-Linz-Geldgeber Franz Grad am Rande der Pressekonferenz. Tatsächlich waren die Zustände im Linzer Fußball verhee­rend. Seit die VÖEST 1993 als Geldgeber ausstieg und aus dem SK VÖEST der FC Linz wurde, herrschte chronische Geld­not. Beim LASK war die Situation nicht viel besser. Eine Fusion wurde es dennoch nicht. Die bestens in die Politik vernetzten LASK-Funktionäre setzen sich durch. Die Vereinsfarben blieben schwarz-weiß, der Vereinsname unverändert. Vom FC Linz sollte nichts übrig bleiben.

GEMEINER HINTERHALT

Für Robert Hummer bricht eine Welt zusammen. Der damals 18-Jährige ist seit Jahren Abonnent beim FC Linz und gibt das Fanzine „Kauf mich!“ heraus. „Jeden Abend haben wir uns getroffen und uns gegenseitig über die neuesten Gerüchte in­formiert“, sagt er heute. „ Es gab ja noch kein Internet.“ Drei Tage nach der Ver­lautbarung steigt das erste Spiel: Der FC Linz spielt beim GAK. Über 100 Fans fah­ren mit, mehr als doppelt so viele als bei einer normalen Auswärtsfahrt nach Graz. Am Begrenzungszaun zum Spielfeld brin­gen sie einen überdimensionierten Pate­zettel an. „Unser Verstorbener wurde im 51. Lebensjahr Opfer einer hinterhältigen Aktion“, steht darauf. „Die Stimmung war komisch“, erinnert sich Hummer. „Wir waren unheimlich traurig, aber auch un­fassbar wütend.“

Auch das schwarze-weiße Linz ist nicht glücklich. Jahrelang haben auch die LASK-Fans gegen eine mögliche Fusion mobil gemacht. Das Schreckgespenst Fu­sion, das seit den frühen 1990ern durch die Stadt geistert, drohte auch den LASKlern ihren Verein zu nehmen. Im Juni 1995 demonstrierten Hunderte Fans beider Vereine gemeinsam auf der Linzer Land­straße gegen eine Zusammenlegung. „Ich habe das grundsätzlich abgelehnt“, sagt Günther Waldhör, der seit 1978 fast kein Heimspiel seiner Schwarz-Weißen ver­säumt hat. „Linz ist groß genug für zwei Vereine.“

ALTE GESICHTER

Die Exekutive rüstet sich beim Derby für mögliche Ausschreitungen. 80 Beam­te, für die damalige Zeit ein Großaufgebot, stehen bereit. Die Einlasskontrollen wer­den verschärft, die VIP-Parkplätze beson­ders überwacht. „Randalierer haben keine Chance“, sagt Polizeibrigadier Alfred Pirklbauer am Tag vor dem Match. Dass es zu einem Zuschaueransturm kommen wird, ist ohnehin klar. Das Spiel findet bei frei­em Eintritt statt.

Robert Hummer verbringt die Stunden davorbei einem Freund, dessen Eltern unweit des Stadions am Linzer Frosch­berg einen Bungalow samt Garten besit­zen. Vor Heimspielen trifft sich der Freundeskreis immer dort, an diesem Samstag sind auch viele alte Bekannte an­wesend, erzählt er. Das Bild setzt sich im Stadion fort. „Da waren Leute da, die man seit den 1980ern nicht mehr gesehen hat“, sagt er. „Sie woll­ten in Würde Abschied nehmen.“ Die Trauergemeinde ist riesig. 15.000 Leute sind gekommen, es ist eines der wenigen Derbys, bei denen das blau-weiße Linz zweifellos in der Überzahl ist. Von Aus­schreitungen ist keine Spur, nur im Gäste­sektor, wo die LASK-Fans stehen, bran­den immer wieder Schmähgesänge auf die neuen Vereinslosen auf. „Aber die Mehr­heit war das nicht“, sagt Waldhör. „Ich fand das einfach nicht angemessen.“

Das Spiel zieht fast an allen Anwesen­den spurlos vorbei. Die LASK-Spieler auf dem Feld setzen sich nicht groß zur Wehr. Nach 25 Minuten trifft Ewald Brenner per Kopf zum 1:0 für den FC Linz, kurz vor der Pause erhöht Roman Budjak auf 2:0. Völlig unbedrängt stellt Günther Zeller in der 86. Minute den 3:0 Endstand her. „Es war der deutlichste Derbysieg, den ich er­lebt habe“, sagt Hummer. „Aber an das Spiel habe ich nur mehr dumpfe Erinne­rungen.“ Tausende Blau-Weiße bleiben noch über eine Stunde nach der Partie auf ihren Plätzen. Wolfgang Bankowsky, seit fast 20 Jahren Stadionsprecher des Ver­eins, spielt „Immer wieder geht die Sonne auf“ von Udo Jürgens nicht nur einmal.

GESCHEITERTER GROßKLUB

Schon davor, unmittelbar nach Abpfiff, hatten die Spieler Trikots getauscht. „In der neuen Saison kommen jetzt beide Mannschaften zusammen“, sagt der LASKler Markus Weissenberger in einem blau-weißen Dress im Interview mit dem ORF. „Wir haben großes Potenzial.“ Tat­sächlich gehören mit Saisonende alle Spie­ler des FC Linz dem LASK, er übernimmt aber nur die wenigsten. Torschütze Ewald Brenner ist einer von nur drei Blau-Wei­ßen, die in der nächsten Saison für den LASK auflaufen.

Auch die Nachwuchs­akademie des FC Linz, die zu Österreichs besten gehört, geht an den Stadtrivalen über. „Ein Großklub sind wir nicht geworden,“ sagt LASK-Fan Waldhör. „Das Pro­jekt ist gescheitert.“ Der „Großklub“ wird bis zur Jahrtausendwende nie besser als Fünfter, in der Saison 2000/01 steigt er ab.

Das Scheitern hat die Blau-Weißen nicht versöhnt. „Ich bin bis heute der Mei­nung, dass dieser Schritt nicht hätte sein müssen“, sagt Hummer. „Wir hätten ein­fach wieder kleinere Brötchen backen kön­nen.“ Denn auch als der FC Linz noch SK VÖEST hieß, spielte er nicht immer oben mit. 1969 steigt er erstmals auf. Auch in den 1980ern ist er teilweise Zweitligist.

Der Nachfolgeverein backt heute tat­sächlich kleinere Brötchen. Nicht einmal ein Monat nach dem Derby steigt eine Gruppe von Fans und Unternehmern um Spediteur Hermann Schellmann beim Landesligisten SV Austria Tabak ein. Der Verein soll von da an anders heißen. Am 19. August 1997 spielt der FC Blau-Weiß Linz sein erstes Meisterschaftsspiel. Nach Ende des Derbys war Schellman vom VIP- Klub zum Fansektor gekommen und hatte lang mit den Anhängern gesprochen. „Man hat an diesem Tag gemerkt, wie vie­le Blau-Weiße gibt“, sagt Hummer. „Viel­leicht würde es den Verein ohne das Derby heute nicht geben.“

Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo

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