Tausende Fans des FC Linz strömten im Mai 1997 zum letzten Derby gegen den LASK. Sie waren dabei, ihren Verein zu verlieren. Doch ihre Trauer war nicht umsonst.
TEXT: MORITZ ABLINGER, FOTOS: GEPA PICTURES
Es war bloß Zufall, das Los hatte entschieden. Für den vorletzten Spieltag der Saison 1996/97 war ein Linzer Derby angesetzt. Sportlich war es völlig bedeutungslos. Der LASK hing im Tabellenmittelfeld fest, der FC Linz konnte zwar rechnerisch noch absteigen, es war aber ohnehin egal. Denn als das Derby um 15:30 am Mai 1997 angepfiffen wurde, war klar, dass es den blau-weißen Verein nach Ende der Saison nicht mehr geben wird.
Zehn Tage zuvor hatten die beiden Vereinsvorstände im Hotel Ramada fernab der Innenstadt einen Vertrag unterschrieben. „Die Fusion war alternativlos“, sagt FC-Linz-Geldgeber Franz Grad am Rande der Pressekonferenz. Tatsächlich waren die Zustände im Linzer Fußball verheerend. Seit die VÖEST 1993 als Geldgeber ausstieg und aus dem SK VÖEST der FC Linz wurde, herrschte chronische Geldnot. Beim LASK war die Situation nicht viel besser. Eine Fusion wurde es dennoch nicht. Die bestens in die Politik vernetzten LASK-Funktionäre setzen sich durch. Die Vereinsfarben blieben schwarz-weiß, der Vereinsname unverändert. Vom FC Linz sollte nichts übrig bleiben.
GEMEINER HINTERHALT
Für Robert Hummer bricht eine Welt zusammen. Der damals 18-Jährige ist seit Jahren Abonnent beim FC Linz und gibt das Fanzine „Kauf mich!“ heraus. „Jeden Abend haben wir uns getroffen und uns gegenseitig über die neuesten Gerüchte informiert“, sagt er heute. „ Es gab ja noch kein Internet.“ Drei Tage nach der Verlautbarung steigt das erste Spiel: Der FC Linz spielt beim GAK. Über 100 Fans fahren mit, mehr als doppelt so viele als bei einer normalen Auswärtsfahrt nach Graz. Am Begrenzungszaun zum Spielfeld bringen sie einen überdimensionierten Patezettel an. „Unser Verstorbener wurde im 51. Lebensjahr Opfer einer hinterhältigen Aktion“, steht darauf. „Die Stimmung war komisch“, erinnert sich Hummer. „Wir waren unheimlich traurig, aber auch unfassbar wütend.“
Auch das schwarze-weiße Linz ist nicht glücklich. Jahrelang haben auch die LASK-Fans gegen eine mögliche Fusion mobil gemacht. Das Schreckgespenst Fusion, das seit den frühen 1990ern durch die Stadt geistert, drohte auch den LASKlern ihren Verein zu nehmen. Im Juni 1995 demonstrierten Hunderte Fans beider Vereine gemeinsam auf der Linzer Landstraße gegen eine Zusammenlegung. „Ich habe das grundsätzlich abgelehnt“, sagt Günther Waldhör, der seit 1978 fast kein Heimspiel seiner Schwarz-Weißen versäumt hat. „Linz ist groß genug für zwei Vereine.“
ALTE GESICHTER
Die Exekutive rüstet sich beim Derby für mögliche Ausschreitungen. 80 Beamte, für die damalige Zeit ein Großaufgebot, stehen bereit. Die Einlasskontrollen werden verschärft, die VIP-Parkplätze besonders überwacht. „Randalierer haben keine Chance“, sagt Polizeibrigadier Alfred Pirklbauer am Tag vor dem Match. Dass es zu einem Zuschaueransturm kommen wird, ist ohnehin klar. Das Spiel findet bei freiem Eintritt statt.
Robert Hummer verbringt die Stunden davorbei einem Freund, dessen Eltern unweit des Stadions am Linzer Froschberg einen Bungalow samt Garten besitzen. Vor Heimspielen trifft sich der Freundeskreis immer dort, an diesem Samstag sind auch viele alte Bekannte anwesend, erzählt er. Das Bild setzt sich im Stadion fort. „Da waren Leute da, die man seit den 1980ern nicht mehr gesehen hat“, sagt er. „Sie wollten in Würde Abschied nehmen.“ Die Trauergemeinde ist riesig. 15.000 Leute sind gekommen, es ist eines der wenigen Derbys, bei denen das blau-weiße Linz zweifellos in der Überzahl ist. Von Ausschreitungen ist keine Spur, nur im Gästesektor, wo die LASK-Fans stehen, branden immer wieder Schmähgesänge auf die neuen Vereinslosen auf. „Aber die Mehrheit war das nicht“, sagt Waldhör. „Ich fand das einfach nicht angemessen.“
Das Spiel zieht fast an allen Anwesenden spurlos vorbei. Die LASK-Spieler auf dem Feld setzen sich nicht groß zur Wehr. Nach 25 Minuten trifft Ewald Brenner per Kopf zum 1:0 für den FC Linz, kurz vor der Pause erhöht Roman Budjak auf 2:0. Völlig unbedrängt stellt Günther Zeller in der 86. Minute den 3:0 Endstand her. „Es war der deutlichste Derbysieg, den ich erlebt habe“, sagt Hummer. „Aber an das Spiel habe ich nur mehr dumpfe Erinnerungen.“ Tausende Blau-Weiße bleiben noch über eine Stunde nach der Partie auf ihren Plätzen. Wolfgang Bankowsky, seit fast 20 Jahren Stadionsprecher des Vereins, spielt „Immer wieder geht die Sonne auf“ von Udo Jürgens nicht nur einmal.
GESCHEITERTER GROßKLUB
Schon davor, unmittelbar nach Abpfiff, hatten die Spieler Trikots getauscht. „In der neuen Saison kommen jetzt beide Mannschaften zusammen“, sagt der LASKler Markus Weissenberger in einem blau-weißen Dress im Interview mit dem ORF. „Wir haben großes Potenzial.“ Tatsächlich gehören mit Saisonende alle Spieler des FC Linz dem LASK, er übernimmt aber nur die wenigsten. Torschütze Ewald Brenner ist einer von nur drei Blau-Weißen, die in der nächsten Saison für den LASK auflaufen.
Auch die Nachwuchsakademie des FC Linz, die zu Österreichs besten gehört, geht an den Stadtrivalen über. „Ein Großklub sind wir nicht geworden,“ sagt LASK-Fan Waldhör. „Das Projekt ist gescheitert.“ Der „Großklub“ wird bis zur Jahrtausendwende nie besser als Fünfter, in der Saison 2000/01 steigt er ab.
Das Scheitern hat die Blau-Weißen nicht versöhnt. „Ich bin bis heute der Meinung, dass dieser Schritt nicht hätte sein müssen“, sagt Hummer. „Wir hätten einfach wieder kleinere Brötchen backen können.“ Denn auch als der FC Linz noch SK VÖEST hieß, spielte er nicht immer oben mit. 1969 steigt er erstmals auf. Auch in den 1980ern ist er teilweise Zweitligist.
Der Nachfolgeverein backt heute tatsächlich kleinere Brötchen. Nicht einmal ein Monat nach dem Derby steigt eine Gruppe von Fans und Unternehmern um Spediteur Hermann Schellmann beim Landesligisten SV Austria Tabak ein. Der Verein soll von da an anders heißen. Am 19. August 1997 spielt der FC Blau-Weiß Linz sein erstes Meisterschaftsspiel. Nach Ende des Derbys war Schellman vom VIP- Klub zum Fansektor gekommen und hatte lang mit den Anhängern gesprochen. „Man hat an diesem Tag gemerkt, wie viele Blau-Weiße gibt“, sagt Hummer. „Vielleicht würde es den Verein ohne das Derby heute nicht geben.“
Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo