Zwei Meistertitel, dreimal Champions League - Ende der 90er begann die goldene Zeit des SK Sturm. Drei Spieler stachen in dieser Ära hervor: Mario Haas, Hannes Reinmayr und Ivica Vastic. Wir baten das Offensivtrio zu einem gemeinsamen Gespräch über Trainings, die intensiver waren als Meisterschaftsspiele, und die verpasste Chance auf eine erfolgreiche WM 1998.
TEXT: PETER K. WAGNER, FOTOS: PETER TROISSLER / GEPA PICTURES
Die Grazer Oper ist die große Bühne der zweitgrößten Stadt Österreichs - und damit die perfekte Fotolocation für jene Männer, die den großen Fußballzirkus in der Steiermark salonfähig machten. Mario Haas, Hannes Reinmayr und Ivica Vastic eroberten von Graz aus den internationalen Spitzenfußball und zelebrierten Spielkunst auf allerhöchstem Niveau. Als wir sie zum Erinnerungstermin für das Bundesliga-Journal bitten, erfolgen die Zusagen prompt - auch wenn mit Vastic ein Teil des berühmten magischen Dreiecks aus geografischen Gründen nur per Tablet mit von der Partie sein konnte. Fürs ausführliche Gespräch nehmen wir unweit der Grazer Oper im Lokal „Eschenlaube“ Platz. Und kaum ist Ivica Vastic mit uns verbunden, rennt der Schmäh zwischen den drei Ex-Profis.
Bundesliga-Journal: Wisst ihr eigentlich, warum der Begriff magisches Dreieck entstanden ist?
Mario Haas: Es gab damals das magische Dreieck in Stuttgart: Giovane Elber, Fredi Bobic und Krassimir Balakov. Der Begriff wurde dann für uns übernommen.
Ivica Vastic: Waren wir nicht früher?
Hannes Reinmayr: Zumindest besser waren wir (lacht).
Wir haben versucht, es nachzuvollziehen. Es war Claus Hollmann, der nach einem 3:1-Erfolg im Hanappi-Stadion im Frühjahr 1998 für die „Kleine Zeitung" einen Spielbericht verfasste mit dem Titel „Rapid zerbrach am „magischen Dreieck". Nur ein Monat später fand sich in der „Kleinen Zeitung" ein Artikel über das magische Dreieck und folgendes Zitat von Ivica Vastic: „Ich habe den guten Pass, Haas die Schnelligkeit, Reinmayr die Übersicht. Und meistens hat einer von uns dreien die richtige Idee." Ist damit alles gesagt?
Vastic: So stellt man es sich vor, dass es immer so leicht war. Aber ja, das stimmt natürlich noch immer so.
Es gibt dort auch ein Zitat von Hannes Reinmayr: „ Wir wären nicht magisch, wenn wir nicht Leute wie Schupp oder Mählich hätten, die die Drecksarbeit für uns erledigen."
Reinmayr: Auch richtig.
Natürlich gibt es auch ein Zitat von Mario Haas: „Wir spielen am liebsten gegen Viererketten. Da stehen alle auf einer Linie, da kann man schön kombinieren."
Haas: Ja, das war auch so. Damals spielte noch ein Libero mit zwei Manndeckern.
Wenn wir Jahre später darauf zurückblicken: Wie ist dieses besondere Zusammenspiel von euch entstanden?
Haas: Das hat sich so entwickelt über mehrere Jahre, die wir zusammengespielt haben.
Reinmayr: Im Training haben oft Dreierketten gegeneinander gespielt mit einem Joker - und es hat dort zwischen uns besonders gut funktioniert. Das hat Trainer Osim erkannt und ins Spiel übernommen. Aber es war auch Zufall, weil ich zum Beispiel bereits wechseln wollte.
Vastic: Die Spielintelligenz und Technik war natürlich kein Zufall. Wir hatten auch die Übersicht - außer Haasi.
Haas: Zauberer, ich bin deinen Fehlpässen nachgelaufen.
(alle lachen)
Vastic: Ja, du hattest die Schnelligkeit, um auch meine Fehlpässe zu erreichen, stimmt. Nein, im Ernst: Wir haben uns wirklich gut ergänzt. Und nicht umsonst richtig viele Tore erzielt.
46 Tore waren es in der Meistersaison 1997/98. Von gesamt 80 Sturm-Toren in dieser Spielzeit. 17 Mal Haas, 15 Mal Reinmayr und 14 Mal Vastic.
Vastic: Das war unsere Stärke, wenn einer nicht ins Spiel kam, war ein anderer da.
Wie viele Freiheiten hattet ihr? Oder gab es wirklich eine Dreiecksformation?
Reinmayr: Wir hatten alle Freiheiten. Was hat der Alte (Anm.: Trainer Osim) immer gesagt? Ihr drei bleibt bitte vorne, ihr baut hinten nur Scheiße. Wobei Ivo defensiv noch relativ gut war...
Haas: Bei mir war bei der Mittellinie Stopp.
Reinmayr: In der Verteidigung wurde zu fünft abgesichert. Und Mann gegen Mann hat sich eh kaum jemand getraut, gegen uns zu spielen.
Vastic: Ja, weil wir viel Qualität im Zusammenspiel, aber auch individuell hatten, um Eins-gegen-Eins-Situationen zu lösen. Die Kreativität und Kombinationsfreudigkeit hat uns am meisten geprägt.
Diese Kombinationsfreudigkeit hat beim Zuschauen Spaß gemacht, weil es wirklich schön anzusehen war. Es muss auch am Rasen eine Freude gewesen sein.
Haas: Ja, das begann schon im Training. Wir hatten dort ein so hohes Niveau, weil jeder mit uns mithalten wollte, dass zeitweise am Trainingsplatz mehr Aggressivität da war als im Spiel. Auch das hat uns weitergebracht. Wenn wir uns ein paar Videos von damals anschauen, wundern wir uns selbst, welch schöne Spielzüge rausgekommen sind. Man muss auch dazu sagen, dass Trainer Osim uns all das eingeprägt hat.
Vastic: Es war tatsächlich im Training manchmal schwerer als in der Meisterschaft. Diese tagtägliche Herausforderung hat dazu geführt, dass wir automatisiert Lösungen gefunden haben. Es war dadurch fast ein Selbstläufer.
Reinmayr: Neukirchner, Mählich, Schupp - das waren Spieler, die man achtmal überspielen musste. Posch, Milanic, Foda hatten in der Defensive eine gewisse Härte.
Vastic: Wir hatten einen breiten Kader mit hohem Niveau und jeder hätte von Anfang an spielen können. Der Ehrgeiz im Training war groß. Schon auch mit Spaß, aber mit Ernsthaftigkeit.
Reinmayr: Ich bin eineinhalb Jahre auf der Bank gesessen und das ist schon auch etwas, was man dazusagen muss: Der Alte konnte die Ersatzspieler motivieren. Ich wollte damals nicht Weggehen, weil ich mich in dieser starken Mannschaft durchsetzen wollte. Als ich 1995 kam, waren Mario und Ivo mit Arnold Wetl vorne so stark, dass ich es nachvollziehbar fand, dass ich selten eine Chance bekommen habe. Ich habe aber nie aufgehört, zu trainieren und hatte immer das Gefühl, dass Osim mich trotzdem braucht.
Es dauerte zwei Jahre, bis ihr zusammengefunden habt. Die Saison, in der das magische Dreieck geboren wurde, war auch jene, in der das Eröffnungsspiel im damaligen Arnold-Schwarzenegger-Stadion in Graz - heute Merkur-Arena - gegen den GAK mit 4:0 gewonnen wurde. War das auch ein Erfolgslauf, wie er immer wieder im Fußball passiert?
Reinmayr: Auch. Aber es waren nicht zuletzt drei Verpflichtungen ausschlaggebend: Markus Schupp, Franco Foda und Ranko Popovic.
Vastic: Auch Tormann Kazimierz Sidorczuk war ein Toptransfer. Die Mannschaft war sonst formiert, wir waren sehr gut eingespielt. So eine Kontinuität findet man auch heutzutage schwer. Nur der LASK hat in dieser Art und Weise über drei oder vier Jahre eine ähnliche Mannschaft und zeigt wie wir damals, dass ein solcher Weg mit Erfolg verbunden ist.
Reinmayr: Mit - unter Anführungszeichen - nicht viel Geld, muss man dazu sagen.
Vastic: Ja. Bei uns war es so, dass Hannes (Anm.: Kartnig) die Fähigkeit hatte, das Geld einzupacken. Aber doch ist das meiste Geld dann erst aufgrund der Champions-League-Teilnahmen in den Verein geflossen.
Der Meistertitel 1998 im Video:
Champions League ist ein gutes Stichwort. Bei der ersten Teilnahme 1999 seid ihr in den Gruppenspielen gegen Real Madrid zweimal in Führung gegangen, habt aber klar verloren - 1:6 in Spanien und 1:5 in Graz. Wenn man eure Zeit mit jener von Salzburg heute vergleicht: Wie ist das einzuordnen?
Reinmayr: Dass Salzburg mithalten kann, zeigen sie auch diesen Herbst wieder. Auch wir haben gut mitgespielt.
Vastic: Es waren offene Spiele, wir hätten gegen Real auswärts auch 4:4 spielen können, bei den Chancen, die wir hatten.
Reinmayr: Ich glaube, man kann es ähnlich einordnen, nur hatten wir ganz andere Voraussetzungen. Salzburg macht es ganz anders. Die Zeiten sind außerdem nicht mehr vergleichbar - gerade im finanziellen Bereich. Die Schere geht sehr weit auseinander. Früher waren 100 Millionen Schilling eine magische Budgetgrenze - aber was sind heute sieben Millionen Euro Budget? Da spielst du nahezu gegen den Abstieg in der Liga.
Vastic: In Salzburg spielt auch nicht nur Geld eine Rolle, sondern eine durchdachte Struktur, jedes Radl passt ins andere. Von der U8 bis in die Kampfmannschaft und auch im Scouting wird sehr gut gearbeitet.
In den 90er-Jahren waren Salzburg und Rapid in Europacup-Endspielen, ihr in der Champions League. War es das Bosman-Urteil, das in den Nullerjahren zu weniger internationalen Erfolgen von österreichischen Teams führte? Und inwiefern hilft der Erfolgssog von Salzburg der gesamten Liga, wieder erfolgreicher zu spielen? Bestes Beispiel: Mit LASK, WAC und Rapid stehen heuer drei Teams in der Gruppenphase der Europa League.
Haas: Einerseits arbeiten diese Teams alle gut, andererseits hilft ein sehr erfolgreiches Team. Früher wollten alle uns schlagen, heute ist Salzburg das Team, zu dem man aufschaut und dem man näherkommen will.
Reinmayr: Eines darf man auch nicht vergessen: Ein Akademiespieler trainiert heute sieben Mal in der Woche, die Schule ist darauf abgestimmt, das ist ganz anders als zu unserer Zeit. Wir waren dafür vielleicht mehr die Straßenfußballer. Ich glaube aber wirklich, dass die Akademien hervorragend arbeiten, die haben Anfang der Nullerjahre begonnen.
Der Meistertitel 1998 war eine Machtdemonstration, die Kombination aus Dominanz und schönem Fußball gab es so in Österreich lange nicht mehr. Österreich hatte damals auch ein Nationalteam, das sich im europäischen Vergleich nicht verstecken musste, und war erstmals seit 1990 wieder für eine WM qualifiziert. Viele haben damals das magische Dreieck im Team gefordert, Teamchef Herbert Prohaska setzte aber auf Toni Polster und Andreas Herzog und damit auf Offensivspieler, die Österreich zur WM nach Frankreich geschossen hatten. Wahrscheinlich deshalb, weil sie es sich für ihre Leistungen in der Qualifikation verdient hatten und obwohl ihr wahrscheinlich besser in Form wart. Wie sieht ihr das in der Retrospektive?
Reinmayr: Alles richtig gesagt. (lacht)
Vastic: Müssen wir nichts hinzufügen. (lacht)
Reinmayr: Aber ja, aus Trainersicht ist das zu verstehen, doch im Training war zu sehen, dass Herzog zwar ein grandioser Spieler war, zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht fit genug war aufgrund einer Verletzung (Anm.: „Zehe der Nation“). Und Toni ist wiederum ein Spieler für den 16-Meter-Raum - wenn man aber nicht im Strafraum ist, dann hat man ein Problem.
Nach der mäßigen WM samt Vorrundenaus seid ihr in vier Länderspielen immer gemeinsam in der Startelf zum Einsatz gekommen: 2:2 gegen den frisch gebackenen Weltmeister Frankreich, 1:1 gegen Israel, 3:0 auf Zypern und 4:1 in San Marino. Dann folgte bald das 0:9 gegen Spanien und ein großer Cut im Nationalteam. Richtig kam das magische Dreieck im Nationalteam nie an. Warum?
Reinmayr: Ich habe meine Karriere bald beendet, als Otto Baric Trainer wurde und mich als Ersatz von Andreas Herzog nach Israel mitnehmen wollte. Da bin ich dann lieber mit meiner Frau auf Urlaub gefahren, ich wollte nicht mehr Ersatz für jemanden sein.
Vastic: Wo ist da der Reini geblieben, der sich durchsetzen wollte wie zu den Anfangszeiten bei Sturm?
Reinmayr: Dafür war ich schon zu alt. (lacht)
So wie im Nationalteam zauberte das magische Dreieck auch bei Sturm nicht lange. Es gab eigentlich gar nur zwei magische Saisonen: 1997/98 und 1998/99. Denn als Mario Haas im Sommer 1999 nach Frankreich wechselte, wurde das Trio auseinandergerissen. Haas kehrte im Frühjahr 2001 zwar wieder zurück, doch da war die große Zeit des SK Sturm bereits im Abklingen. Am 13. Oktober 2001 stand das magische Dreieck schließlich das letzte Mal gemeinsam für den SK Sturm am Feld. Sturm gewann ein Heimspiel gegen Bregenz mit 3:0. Im Jahr 2002 zerbrach das magische Dreieck endgültig: Hannes Reinmayr verließ den Verein Richtung Saarbrücken, Ivica Vastic wechselte nach Japan. Mario Haas blieb - mit einer einjährigen Unterbrechung als Japan-Legionär unter Ivica Osim - dem Verein bis 2012 als Spieler erhalten.
Der Meistertitel 1999 im Video:
Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo