Jesses Asse im Joker-Poker

30. April 2021 in ADMIRAL Bundesliga Der geübte Fußball-Rhetoriker nimmt gerne Anleihen aus der Sprache der Kartenspieler. Trainer mit Trümpfen im Ärmel. Sturm-Asse, die zur richtigen Zeit stechen. Verteidiger, die keinen Stich machen. Und natürlich: Joker, die mit ihren Toren einem Spiel eine Portion Extra-Würze verleihen. Damit sind Offensivspieler gemeint, die zu Beginn auf der Bank schmoren und nach ihrer Einwechselung ein Tor erzielen. Eine Disziplin, die niemand so gut beherrscht wie Red Bull Salzburg unter dem im Sommer scheidenden Coach Jesse Marsch.

Schon vergangene Saison stellten die Mozartstädter mit 15 Joker-Toren einen Allzeit-Rekord auf, den sie in dieser Saison noch einmal übertrafen. Denn das Tor von Brenden Aaronson in der 26. Runde gegen die WSG Swarovski Tirol war bereits der 16. Joker-Treffer in dieser Spielzeit. Und vier Runden bleiben ja noch übrig.

Bei der Suche nach einer Erklärung kommt Sky-Experte Marc Janko schnell zum Abschluss. Der Mann muss es wissen, schließlich stürmte er nicht nur höchst erfolgreich für die Salzburger, auch im Nationalteam und bei diversen Auslandsstationen (u.a. FC Porto, FC Basel, Twente Enschede) sorgte er für Tore und Triumphe. „Wenn deine Qualität in der Breite so hoch ist, dass du ohne Qualitätsverlust Spieler von der Bank bringen kannst, wenn der Gegner schon müde gespielt wurde, ist das ein unschätzbarer Vorteil.“ Das trifft auf Salzburg sicher zu. Und wird verdeutlicht, wenn man sich anschaut, von wem die 16 Joker-Treffer erzielt wurden. Sieben gehen alleine auf das Konto des derzeit gesperrten Sekou Koita, jeweils drei erzielten Patson Daka und Karin Adeyemi (s. Liste unten). Allesamt Top-Stürmer, die jederzeit auch für die Startelf infrage kommen.

Das sind die Salzburger Joker-Schützen 2020/21:

Sekou Koita               7

Patson Daka              3

Karim Adeyemi          3

Brenden Aaronson     1

Noah Okafor              1

Luka Sučić                 1

Wie also geht Jesse Marsch vor, wenn er sich überlegt, mit welcher Konstellation er den größtmöglichen Erfolg sicherstellen kann? Im Gespräch mit bundesliga.at gibt der US-Amerikaner, ab der kommenden Saison bei RB Leipzig auf der Kommandobrücke, Einblicke in seine Gedankenwelt: „Ein sehr schwieriger Aspekt meiner Arbeit ist es, die Aufstellung für ein Spiel zu machen. Welcher Spieler passt am besten in die Formation und zum jeweiligen Gegner, wer sitzt auf der Bank oder gar nur auf der Tribüne“, sagt der 47-Jährige. „Es ist wichtig, den Ersatzspielern klarzumachen, dass sie jederzeit für einen Einsatz bereit sind, eine gute Mentalität brauchen und genau wissen, dass sie einen großen Einfluss auf ein Spiel haben können. Auch wenn sie nur kurz zum Zug kommen, können sie viel bewirken.“

Das kann man wohl sagen. 31 Joker-Tore in nicht einmal zwei Saisonen, das sucht nicht nur in Österreich seinesgleichen. Wobei natürlich zur Wahrheit gehört, dass es seit Ausbruch der Corona-Pandemie fünf Wechselmöglichkeiten gibt, was der Anzahl der Joker-Tore natürlich zugute kommt. Trotzdem fällt auf: Wer in der Joker-Statistik weit vorne liegt, hat auch im Titelrennen die besten Karten. Konkret: Seit der Saison 2016/17 hatte immer Salzburg die meisten Treffer von Einwechselspielern und wurde auch immer Meister. Doch gilt die Regel auch für andere Teams. Als die Austria 2012/13 den Titel-Coup landete, hatte sie mit zwölf auch die meisten Joker-Treffer. Das gleiche gilt für den SK Puntigamer Sturm Graz in der Spielzeit 2010/11 mit neun Toren (siehe Tabelle unten).

Die Teams mit den meisten Joker-Toren der letzten elf Saisonen:

2020/21           FC Red Bull Salzburg              16

2019/20           FC Red Bull Salzburg*            15

2018/19           FC Red Bull Salzburg* /

                        spusu SKN St. Pölten             11

2017/18           FC Red Bull Salzburg*             9

2016/17           FC Red Bull Salzburg*            12

2015/16           SK Rapid Wien                       10

2014/15           SV Guntamatic Ried               14

2013/14           SV Grödig                             14

2012/13           FK Austria Wien*                   12

2011/12           SK Rapid Wien                       12

2010/11           SK Puntigamer Sturm Graz*     9

* Meister

Ein Zusammenhang, der Janko nicht überrascht. Für ihn ist klar: „Qualitativ überlegene und dementsprechend dominant auftretende Mannschaften tun sich auch bei den Joker-Toren leichter. Wenn man sich die Salzburger Joker-Treffer in dieser Saison anschaut, merkt man, dass sie zu dem Zeitpunkt schon irrsinnig große Räume vorgefunden haben, weil Salzburg meistens schon in Führung lag. Ich bin mir sicher, dass die meisten dieser Tore in den ersten 20 Minuten des Spiels nicht gefallen wären.“ Eine These, die auch von Jesse Marsch bestätigt wird. Er sagt: „Natürlich sind unsere Joker-Tore kein Zufall. Sie sagen vielmehr aus, dass die Startelf sehr gut arbeitet und die Gegner mit viel Power voll fordert. Und dann kommen frische Spieler mit frischer Power und viel Qualität.“

Dazu kommt, dass Profis, die es beim Spielberichtsbogen nicht in die obere Hälfte geschafft haben, über ein Extra-Reservoir an Motivation verfügen. „Jeder will dem Trainer zeigen, dass er zu Unrecht nicht von Beginn an spielen durfte“, sagt Janko, der in seiner aktiven Karriere die Joker-Rolle meist dazu nutzen konnte, sich wieder in die Startaufstellung zu spielen. Das gilt allerdings nicht für jeden, wie das Beispiel von Yusuf Demir zeigt. Um das große Rapid-Talent behutsam aufzubauen, setzt ihn Trainer Didi Kühbauer meist als Joker ein. Und konnte bereits sechsmal über ein Demir-Tor jubeln, was Rapid auf Rang zwei der aktuellen Joker-Rangliste hievt.

Hier die Teams mit den meisten Joker-Toren 2020/21:

FC Red Bull Salzburg             16

SK Rapid Wien                      11

RZ Pellets WAC                      9

WSG Swarovski Tirol              8

TSV Prolactal Hartberg           6

FK Austria Wien                     6

CASHPOINT SCR Altach          6

spusu SKN St. Pölten             6

SK Puntigamer Sturm Graz     5

LASK                                    5

SV Guntamatic Ried               4

FC Flyeralarm Admira             2

Zählt man alle Joker-Treffer der aktuellen Spielzeit zusammen, kommt man auf einen Wert von 84. Damit segelt die gesamte Tipico Bundesliga auf Rekord-Kurs, liegt der Bestwert doch bei 86 Toren aus der Vorsaison. Zum Vergleich, auch wenn die Anzahl der Wechselmöglichkeiten stetig anstieg: In der Debüt-Saison der Bundesliga 1974/75 waren es gerade einmal zwölf Joker-Tore, bei Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995/96 immerhin schon 36. Aber immer noch weniger als die Hälfte der aktuellen Spielzeit. Was lernen wir daraus? Wer ein Trumpf-Ass im Ärmel hat und auch von der Bank aus Stiche mit Stürmer-Assen machen kann, ist eindeutig im Vorteil. Nicht nur beim Kartenspielen.

Quelle aller Statistiken: OPTA

Stand der Daten: 29. April 2021

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