Im Jahr 2016 sucht Fußball-Österreich nach der idealen Fußballformel. Auf dem Weg zum neuen Modus vertraut die Bundesliga auf Menschen und Daten. Die Geschichte der Reform.
Text: Mathias Slezak / Fotos: GEPA pictures
Auch wenn im Rahmen der Infrastrukturoffensive mehr als 200 Millionen Euro in die heimischen Stadien investiert wurden – der größte Umbau im österreichischen Fußball der 2010er-Jahre fand beim Ligenformat statt. „Oft wird vergessen, dass diese Geschichte in der zweithöchsten Spielklasse begonnen hat“, sagt der Bundesliga-Vorstandsvorsitzende Christian Ebenbauer, wenn man ihn auf die Reform im Jahr 2016 anspricht.
Für die sportliche Entwicklung ist die zweithöchste Spielklasse, die damals unter dem Namen „Erste Liga“ ausgetragen wird, zwar grundsätzlich gut geeignet, der wirtschaftliche Druck ist Anfang der 2010er-Jahre allerdings enorm. Die Lizenzanforderungen sind als Reaktion auf finanzielle Turbulenzen in der Vergangenheit schrittweise angehoben worden, zudem ist es durch das Format der Zehnerliga mit ihren 36 Runden auch in der zweithöchsten Spielklasse notwendig, englische Runden zu spielen. Aufsteiger müssen damit quasi von einem Tag auf den anderen auf einen vollen Profibetrieb umstellen.
Ein Interessenskonflikt zwischen Landesverbänden und Bundesliga verschärft die Situation zusätzlich: Die Landesverbände bestehen auf dem Direktaufstieg aus den drei Regionalligen in die zweithöchste Spielklasse. Im Jahr 2013 wird einmal mehr heftig diskutiert. „Aus Sicht der Regionalliga-Klubs war das sportlich gerechtfertigt, aus wirtschaftlicher und sportlicher Sicht für die Zweitligisten aber äußerst schwierig bis unmöglich“, erinnert sich Ebenbauer an ein drohendes Worst-Case-Szenario: „Hätten wir keine Einigung erzielt, hätte es drei Direktabsteiger gegeben – also fast ein Drittel der Liga“.
So weit kommt es nicht, ein Kompromiss wird gefunden, mit dem aber niemand so richtig glücklich ist: Ab der Saison 2014/15 wird ein „Radl“ eingeführt, in dem jedes Jahr ein Regionalliga-Meister direkt aufsteigen darf, die beiden anderen spielen sich in einer Relegation den zweiten Aufsteiger aus. Das bedeutet umgekehrt aber immer noch zwei Fixabsteiger aus der Ersten Liga. Die Liga beginnt, im Hintergrund alternative Ligenmodelle zu evaluieren, man traut der neuen Konstellation nicht wirklich.
Von der „Kult-Liga“…
Als die Erste Liga in dieser durchaus spannenden Gemengelage in die Saison 2015/16 startet, ist das Bild in den Medien aber ein ganz anderes, es herrscht Aufbruchsstimmung. Die beiden Austrias aus Klagenfurt und Salzburg versprechen als namhafte Aufsteiger steigende Zuschauerzahlen, dazu kommen mit dem LASK und Wacker Innsbruck zwei weitere große Namen des österreichischen Fußballs. St. Pölten mit dem nach wie vor neuen Stadion, die Talenteschmiede FC Liefering, die Zweitliga-Dinos aus Kapfenberg und Lustenau, Absteiger Wiener Neustadt und der FAC mit Local Hero Peter Pacult als Trainer komplettieren die Zehnerliga.
Christian Ebenbauer versucht bei der Saisonstart-Pressekonferenz im Weingut am Reisenberg über den Dächern von Wien noch, die Erwartungen etwas zu dämpfen. Das wichtigste Ziel aus Liga-Sicht sei bei aller berechtigten Vorfreude immer noch die finanzielle Stabilität und dass die Liga mit gleich vielen Klubs beendet wird, wie sie beginnt. Die Erwartungen der Öffentlichkeit sind aber wie der strahlende Himmel über Wien an diesem Dienstagvormittag: quasi grenzenlos. Eine „Kult-Liga“ sei diese Sky Go Erste Liga, fast so attraktiv wie die Bundesliga, vielleicht die spannendste aller Zeiten.
Und tatsächlich startet sie furios in die neue Saison. 3.600 Zuschauer kommen im Schnitt in Runde 1 in die Stadien, allein 2.000 Austria-Salzburg-Fans begleiten ihre Mannschaft nach Sankt Pölten. Aber bereits beim ersten Heimspiel der Violetten werden Probleme sichtbar. Das Stadion im Salzburger Stadtteil Maxglan muss erst Zweitliga-tauglich gemacht werden, die Heimspiele werden vorerst im oberösterreichischen Schwanenstadt ausgetragen.
Die dortigen Behörden sind über die Gäste nicht wirklich erfreut und entziehen dem Klub die Genehmigung für die „Risikospiele“. Das erste Match gegen Wacker Innsbruck Ende August findet als Geisterspiel statt, die weiteren als heiß eingestuften Begegnungen gegen den LASK und Wacker Innsbruck müssen überhaupt woanders ausgetragen werden. Nach langer Suche stellt der FAC dem Ligakonkurrenten seinen Platz zur Verfügung – das Westderby zwischen Austria Salzburg und Wacker Innsbruck im Schatten der Gemeindebauten von Wien-Floridsdorf gehört zu den skurrileren Begebenheiten im österreichischen Fußball.
Der Rest der Salzburger Geschichte ist schnell erzählt: Die zusätzlichen Ausgaben für Ausweichquartiere, die Umbauarbeiten in Maxglan und die Kosten für den durchaus namhaften Kader rund um Ex-Bullen-Star Somen Tchoyi laufen aus dem Ruder. Ende November ist Austria Salzburg zahlungsunfähig und meldet Insolvenz an. Der Verein kann den Spielbetrieb zwar aufrechterhalten, steht aber bereits als erster Absteiger fest. Wenige Wochen zuvor hat bereits Wiener-Neustadt-Trainer Günter Kreissl in der Sky-Sendung „Talk und Tore“ die Warnleuchten in Sachen Lizenzierung angeknipst: „Ich weiß, es ist eine absolut realistische Möglichkeit, dass das nicht gelingt, egal wieviel wir unternehmen.“ Auch Austria Klagenfurts Präsident Peter Svetits informiert die Liga, dass der Lizenzantrag für die kommende Saison wohl keine sichere Sache sei.
…zur „Todes-Liga“
Die öffentliche Wahrnehmung zur zweithöchsten Spielklasse dreht sich: „Innerhalb von vier Monaten sind wir von der Kult-Liga zur Todes-Liga geworden“, sagt Christian Ebenbauer. Im selben Zeitraum tritt die Bundesliga an die Landesverbände heran, um eine Änderung der Auf- und Abstiegsregelungen mit zwei Absteigern aus einer Zehnerliga zwischen der zweiten und dritten Spielklasse herbeizuführen.
Nachdem hier keine Einigung erzielt werden kann, beginnen Bundesliga-Präsident Hans Rinner und die beiden Vorstände Christian Ebenbauer und Reinhard Herovits nach Abstimmung im Aufsichtsrat, mögliche Lösungen und neue Ligenmodelle innerhalb der Bundesliga auszuarbeiten. Dies vor allem mit dem Ziel, die prekäre wirtschaftliche Lage in der zweiten Spielklasse zu verbessern.
Es dauert nicht lange, bis sich auch Medien und Fußballfans an den Diskussionen beteiligen, so richtig Fahrt nehmen sie am 29. April 2016 auf – dem Tag der erstinstanzlichen Lizenzentscheidungen. Da veröffentlicht der KURIER ein Interview mit der Schlagzeile: „Geldnöte: Österreich verträgt nur 12 Profi-Klubs“. Darin sinniert Christian Ebenbauer über die Auf- und Abstiegsthematik, die finanzielle Lage der Klubs und die Möglichkeit, in ein, zwei Jahren möglicherweise zu wenige Klubs für die beiden Zehnerligen zu haben.
„Alles Dinge, die ich so oder ähnlich auch in anderen Gesprächen mit Journalisten bereits gesagt hatte“, sagt Ebenbauer heute. „Dass das Interview am Tag der Lizenzentscheidung veröffentlicht wurde, hat aber sicherlich zusätzliche Dynamik hineingebracht.“
Die Telefone in der Bundesliga-Geschäftsstelle stehen nicht mehr still. Der Mai wird heiß. Während seine Vorstände Christian Ebenbauer und Reinhard Herovits an der operativen Umsetzung der Ligenreform arbeiten, hält ihnen Bundesliga-Präsident Hans Rinner den Rücken frei. Er telefoniert mit seinen Präsidenten-Kollegen bei den Klubs, spricht mit dem ÖFB und den Landesverbänden und beschwichtigt die eine oder andere kritische Stimme bereits im Vorfeld.
„Die mögliche Abkehr von der Zehnerliga wurde teilweise durchaus emotional gesehen, immerhin war sie über Jahrzehnte DAS Format der österreichischen Liga“, sagt Ebenbauer. Er betont allerdings auch: „Mittelfristig hätten wir das Format mit zwei Zehnerligen in Zusammenhang mit der Ertragslage nicht mehr lange durchgehalten.“
Arbeitsgruppen und Klubkonferenzen werden einberufen, es wird mit Präsidenten, Geschäftsführern und Sportdirektoren konferiert, der ÖFB und die Landesverbände müssen in Sachen Schnittstelle zur Regionalliga ins Boot geholt werden sowie auch sämtliche Partner und Sponsoren. Durch die Lizenzverweigerung für Austria Klagenfurt und den freiwilligen Lizenzverzicht des SV Grödig bekommen die Reformbemühungen weiteren Treibstoff. Im Hotel Sandwirth im Klagenfurter Stadtzentrum wird am 31. Mai 2016 schließlich über die Zukunft des österreichischen Fußballs entschieden.
Weitreichende Weichenstellung
Die Klubs beschließen die Einführung einer 12er-Liga in der höchsten und einer 16er-Liga in der zweithöchsten Spielklasse mit der Saison 2018/19. Auch die langjährige Forderung nach dem Direktaufstieg der Regionalliga-Meister kann nun erfüllt werden, eine 16er-Liga verträgt drei Absteiger. „Es ging in dieser Diskussion nicht um Einzelinteressen, sondern um das Wohl und die wirtschaftliche Stabilität des österreichischen Fußballs“, sagt Präsident Rinner, als er die neue Ligenstruktur gemeinsam mit ÖFB-Präsident Leo Windtner präsentiert, die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des Profifußballs seien nun gestellt.
Wie die Züge im Detail verkehren, wird im darauffolgenden Herbst 2016 erarbeitet. Für die neue 2. Liga ist das Szenario relativ rasch klar: 16 Teams mit je einmal hin und retour, macht 30 Runden – sechs weniger als in der alten 10er-Liga, somit gibt es keine englischen Runden mehr. Die damaligen Lizenzanforderungen werden in Zulassungsanforderungen umbenannt und vor allem herabgesetzt – dadurch wird es möglich, auch als semiprofessioneller oder Amateurklub in der zweithöchsten Spielklasse Österreichs mitzuspielen.
Für die höchste Spielklasse ergeben sich in einer 12er-Liga viele mögliche Szenarien. Die Letztentscheidung liegt bei den Klubs, in die Entscheidungsgrundlage wird aber nahezu ganz Fußball-Österreich miteinbezogen. Unter der Führung der Consulting-Agentur Hypercube werden insgesamt neun Stakeholdergruppen gebildet: Klubs, TV-Partner, Journalisten, Legenden, Trainer, Sponsoren, Spieler, Fans und ÖFB/Landesverbände.
Die niederländische Firma entsendet Pieter Nieuwenhuis nach Österreich. Eine Liga zu reformieren sei ein empfindlicher Prozess mit vielen Schritten, sagt der Projektleiter: „Jedes Land ist einzigartig, man muss alle Merkmale miteinfließen lassen: Kultur, Ökonomie, Bevölkerung, Tradition und vieles mehr. Deshalb muss man mit den Menschen reden, die vom oder für den Fußball leben.“
Das Wetter vor 15 Jahren
In den Stakeholdergruppen wird über die Vor- und Nachteile der einzelnen Varianten diskutiert: Von klassischen Hin- und Rückrundenmodellen, über Play-off-Systeme, Punktereduzierung oder Bonuspunkte nach dem Grunddurchgang bis hin zu Meister-Play-offs werden die Alternativen besprochen.
Zusätzlich soll auch der Blick in die Vergangenheit dabei helfen, die Zukunft zu gestalten. Ganz im Stile von Wolf Haas‘ Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ werden beispielsweise Wetterverhältnisse und Anstoßzeiten von vergangenen Bundesliga-Saisonen analysiert und in Relation zur Tabellensituation und zum Zuschauerbesuch gestellt. So werden Modelle erstellt: Wenn man dieselbe Paarung nicht am Samstag, sondern am Sonntag austrägt, kommen dann mehr oder weniger Besucher ins Stadion? Wie viele Zuschauer kostet es mich, ein Spitzenspiel in der kalten Jahreszeit statt an einem lauen Sommerabend auszutragen? Die Liga-Geschäftsstelle wird zum Daten-Hub.
„Mit diesen Daten können wir vorhersagen, was passiert, wenn man ein neues Ligenformat umsetzt“, sagt Peter Nieuwenhuis und erklärt seine „Monte Carlo Simulation“: „Jedes neue mögliche Format wird fünf Saisonen lang, tausendmal pro Saison, am Computer simuliert. Wir treffen Vorhersagen, wie sich Werte wie Finanzkennzahlen, Zuschauerzahlen, TV-Zuschauer und vieles mehr verändern. Diese Ergebnisse sind äußerst hilfreich, um die richtige Entscheidung für ein Land zu treffen.“
Nach Abschluss der Stakeholder-Meetings spricht Bundesliga-Präsident Rinner von einem „Prozess, wie es ihn im österreichischen Fußball noch nie zuvor gegeben hat“. Der 85 Seiten starke Hypercube-Bericht wird Anfang Dezember den Klubs präsentiert.
Mehr Entscheidungsspiele
Sie entscheiden sich für das Modell mit der Teilung in Meister- und Qualifikationsgruppe nach 22 Runden, als zusätzliches Spannungselement werden die Punkte vor dem Start des Finaldurchgangs halbiert. Play-off-Spiele um den Meistertitel werden von den Klubs zwar mehrheitlich abgelehnt, allerdings gibt es für den Sieger der Qualifikationsgruppe den Anreiz, über das Europacup-Play-off noch den Sprung ins internationale Geschäft zu schaffen.
„Die große Stärke des neuen Spielmodus ist, dass es sehr viele Entscheidungsspiele gibt“, sagt Nieuwenhuis. „Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es einen starken Zusammenhang zwischen der Bedeutung eines Spiels und der Zuschauerzahl gibt. Je größer die Anzahl dieser Entscheidungsspiele ist, desto interessanter ist die Liga für die Zuschauer.“
Mit dem neuen Format ergeben sich auch in der Vermarktung neue Chancen. Sky sichert sich erstmals exklusiv die Rechte für die höchste Spielklasse, der neue TV-Vertrag bringt eine Steigerung von 40 %. Auch die jahrelangen Bemühungen um einen einheitlichen Ligaball sind endlich erfolgreich.
Der kommt erstmals am 27. Juli 2018 zum Einsatz, die neue Saison wird mit der Partie Austria Wien gegen Wacker Innsbruck eröffnet. Das Duell der großen Rivalen aus der Anfangszeit der Bundesliga wird in der nigelnagelneuen Generali-Arena ausgetragen und markiert den Start in die neue Ära der Zwölferliga.
Bundesliga-Präsident Hans Rinner kann diesen Beginn leider nicht mehr miterleben, er starb wenige Monate zuvor an den Folgen einer Krebserkrankung. Die Bundesliga-Reform bleibt als sein Vermächtnis. „Ohne den Hans hätten wir die Reform niemals umsetzen können“, sagt Christian Ebenbauer, „ich glaube, er hätte seine Freude damit gehabt.“