Christian Ilzer: Noch nicht am Ende der Fahnenstange

28. September 2022 in ADMIRAL Bundesliga

Christian Ilzer hat in nur zwei Spielzeiten aus dem SK Puntigamer Sturm Graz ein Spitzenteam geformt. Trotz Interesse aus dem Ausland entschied er sich für einen Verbleib in der Steiermark. Ein Gespräch über die Challenge, 10 bis 15 Prozent besser werden zu müssen und Laternenklettern am Grazer Hauptplatz.

 

Bundesliga-Journal: Sie haben in Interviews immer wieder gesagt, dass Sie keinen genauen Karriereplan im Kopf haben, sondern Entscheidungen nach dem Bauchgefühl treffen. Warum hat das Bauchgefühl diesen Sommer entschieden, in Graz zu bleiben?

Christian Ilzer: Ich habe das deshalb immer wieder gesagt, weil es mir ein bisschen vorgehalten wurde, ich hätte einen genauen Karriereplan und würde jeden Schritt minutiös planen. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe bei meinen bisherigen Stationen irgendwann gefühlt, dass ich fertig bin und es Zeit ist für den nächsten Schritt. Das ist bei Sturm noch nicht der Fall. Ich spüre extreme Dynamik und fühle mich sehr wohl. Ich glaube, dass in der Mannschaft noch nicht alles ausgereizt ist. Die Challenge wird sein, unsere überragende Saison zu bestätigen. Ich glaube, wir müssen für einen ähnlichen Erfolg heuer 10 bis 15 Prozent stärker werden.

Als Sie vor zwei Jahren angetreten sind, hat man den Ball in Graz sehr flach gehalten, von einem steirischen Weg gesprochen, von jungen Spielern, die entwickelt werden sollen. Da war keine Rede von Vizemeisterschaft und Champions-League-Qualifikation. Wie war dieser schnelle Aufstieg möglich?

Als ich hergekommen bin, gab es einen kompletten Neustart. Die Vorstellungen von Andreas Schicker und mir haben sich gedeckt. Eigentlich wollten wir nach drei Jahren die Qualifikation für einen europäischen Bewerb erreichen, es ist ergebnistechnisch schon im Vorjahr mit der Europa-League-Gruppenphase schneller sehr gut gelaufen für uns. Mein Fokus lag allerdings nie auf Ergebnissen, sondern auf den Dingen, die es zu tun gilt. Ich wollte ein Klima schaffen, das Erfolg möglich macht.

Was haben Sie verändert?

Vieles. Auch Dinge, die den Tagesablauf betreffen. Es ging darum, den Spielern ein Mindset zu geben, das Leistungsbereitschaft zulässt. Wir haben dafür eine klare Idee in einfachen Schritten in die Mannschaft einfließen lassen, was mit der Zeit immer mehr zu einer eigenen Identität wurde, die von Umfeld und Fans sehr gut angenommen wurde. Ich weiß, dass die Ergebnisse sich einstellen, wenn man so etwas hinbekommt, und es ist uns gelungen. Für mich war dabei unter anderem wichtig, dass ich vertraute Trainer wie Uwe Hölzl, Marco Angeler und Dominik Deutschl mitnehmen konnte. Man darf auch nicht vergessen, dass wir am Anfang sehr harte Personalentscheidungen am Spielersektor getroffen haben.

Wie schwierig ist es für einen erfolgshungrigen Trainer, in eine Saison zu gehen, wenn man weiß, man hat das Maximum eigentlich schon erreicht?

Man muss in unserer Liga realistisch bleiben und die Realität ist, dass Salzburg sich in einer anderen Sphäre bewegt. Man muss nur schauen, wohin ihre Topstars in diesem Transferfenster gewechselt sind und zu welchen Summen. Trotzdem können wir uns Ziele setzen und wir wissen, dass wir sie in einzelnen Spielen schlagen können. Wir waren in der letzten Saison nach Salzburg das zweitjüngste Team, viele unserer Spieler haben ihre Premierensaison in der Bundesliga hinter sich und fast alle feierten ihre internationale Premiere. Das heißt, wir haben richtig performt, wurden klar Zweiter, aber andererseits wären wir ohne Punkteteilung sogar noch weiter, nämlich 20 Punkte hinter Salzburg gelandet. Schön ist, dass dank der internationalen Erfolge von Salzburg, WAC und dem LASK in der jüngeren Vergangenheit der Preis für den zweiten Platz ein sehr guter ist. In der Schweiz steigt der Meister international dort ein, wo wir als Zweiter einsteigen dürfen.

Sturm war zuletzt 2018 als Vizemeister und sogar Cupsieger sehr erfolgreich, verlor danach aber die halbe Mannschaft. Diesen Transfersommer konnten nicht nur Leistungsträger gehalten, sondern sogar noch punktuelle Verstärkungen geholt werden. Warum?

Es spricht für die Arbeit von Andi Schicker. Er hat ein gutes Gespür für Fußballer und gibt auch mir als Trainer das Gefühl, dass sich mit ihm als Sportdirektor etwas bewegt. Ich brauche dieses Gefühl des Nachvornedenkens und Weiterkommens. Wenn das bei mir entsteht, wird es bei den Spielern nicht anders sein. Es kommt dazu, dass sich innerhalb der Mannschaft eine sehr gute Kameradschaft entwickelt hat. Diese Kombination aus einer Aufwärtsspirale und gutem Zusammenhalt vermittelt, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist.

Was ist für Sie reizvoller: Ein Christian Streich oder Arsene Wenger eines Vereins zu werden oder eine neue Aufgabe zu übernehmen? Oder leben Sie im Jetzt und machen sich darüber keine Gedanken?

Gezwungenermaßen mache ich mir darüber Gedanken, aber nicht so langfristig. Ich war in meiner Zeit bei Hartberg bei einer Art Fahrstuhlmannschaft, die ich auf den vierten oder fünften Platz nach vorne bringen wollte. Als wir aufgestiegen sind, hatte ich das Gefühl, meine Mission sei dort beendet. Ich hatte das Gefühl, alles rausgeholt zu haben. In dem Moment ergab sich eine neue Möglichkeit beim WAC, der Klub war Vorletzter, und als ich dort als Cheftrainer aufgehört habe, standen wir als Dritter in der Europa-League-Gruppenphase.

Ich hätte dort weitergehen können, aber mich reizte die Austria. Ich hätte damals auch zu einem anderen Bundesligaverein gehen können, der auf Schiene war, aber Wien-Favoriten, wo es viel zu prägen gab, fühlte sich richtig an. Ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, mit diesem Traditionsverein erfolgreich zu werden.

Aber dort habe ich meine Erwartungen und die Erwartungen, die in mich gesetzt wurden, schließlich nicht erfüllt. Diese große Enttäuschung war gleichzeitig sehr lehrreich. Die Möglichkeit Sturm Graz hat sich dann sehr schnell sehr richtig angefühlt und die jüngere Vergangenheit gibt meinem Weg recht. Weil es sich noch immer sehr richtig anfühlt, bin ich noch da.

Der Profifußballtrainer Christian Ilzer ist mit seinen Gefühls und Bauchentscheidungen im Sommer 2022 schon sehr weit gekommen. Sie sind mit 16 Jahren nach drei Kreuzbandrissen Trainer geworden, aber auch nach zweimaliger Nichtzulassung erst 2018 für die UEFA-Pro-Lizenz zugelassen worden. Wie reflektiert man als Vizemeistertrainer bei Sturm Graz seinen bisherigen persönlichen Weg?

Wenn ich zurückdenke, weiß ich, dass ich nix ausgelassen hab und auch nichts auslassen durfte. Ich habe vor kurzem mit einem Ex-Nationalspieler gesprochen, der auch gerne die Trainerlaufbahn einschlagen möchte. Er hat mich gefragt, was der perfekte Einstieg sei. Ich meinte, meinen Weg könne man mit seinem nie vergleichen. Ich war Fitnesscoach, ich war Spielanalyst ich habe in jedem Bereich eine Ausbildung plus jahrelange Erfahrung. Ich habe im Nachwuchs bis ins Nationalteam alles gesehen, teilweise mehrere Teams gleichzeitig trainiert und als Cheftrainer von der letzten Klasse bis zur Bundesliga gearbeitet. Bis 35 war mein Konto ein Nullsummenspiel aufgrund der Ausbildungen, ich hatte aber auch eine Familie mit zwei Kindern. Ich habe mich über 20 Jahre Schritt für Schritt nach oben gearbeitet und ein Netzwerk aufgebaut. Für mich war aber auch klar: Es gibt keinen Fail. Der erste war Austria Wien. Das habe ich auch zu dem Ex-Nationalteamspieler gesagt: Manchmal ist es besser, nicht gleich in der 2. Liga als Cheftrainer einzusteigen, weil man bei einem Scheitern schnell einen Stempel bekommt.

Was ist der ideale Einstieg?

Ich würde die Akademie empfehlen. Dort kann man mehr ausprobieren und wird nicht sofort nur an Ergebnissen gemessen, sondern mehr an inhaltlichen Dingen. Dann wird man nach drei oder vier Jahren erkennen, ob man ein Co-Trainer-Typ ist oder ein Alpha, der auch als Cheftrainer in Frage kommt. Mein Weg war sehr lang und auch steinig, aber gleichzeitig richtig cool.

Profifußballer bringen viel Erfahrung mit durch die Spiele, die sie gesammelt haben und können eben auch oft schnell schaffen, den Beruf Trainer zu erlernen, was ich mir über sehr lange Zeit erarbeitet habe. Wichtig ist, dass man den Hunger mitbringt, den ich hatte, der mir dann mit 36 Jahren als Interims-Cheftrainer bei Wiener Neustadt mein erstes Bundesligaspiel bescherte.

Ihr großes Vorbild war einst Jose Mourinho. Warum?

Weil er einen ähnlichen Weg hatte, wie ich und nicht mit einer großen Spielerkarriere viele Titel holen konnte. Seine kompakte Spielidee gefiel mir in einer Phase, in der ich mit Bruno Friesenbichler bei Hartberg ebenfalls viel mit Raumverengung und schnellem Umschaltspiel zu tun hatte. Diese Idee habe ich dann aber etwas verlassen, weil ich will, dass meine Mannschaften mutiger, aktiver und riskanter spielen. Das Charisma von Mourinho taugt mir bis heute, auch, wie er in gewissen Situationen in Interviews mit der Öffentlichkeit spielt. Es gab immer wieder Trainer, mit denen ich mich intensiv beschäftigt habe. Ob Guardiola, Bielsa oder Klopp und Rangnick. Irgendwann entwickelt man aber einen eigenen Stil, ein eigenes Ideal und das ist sehr klar ausgeprägt.

Sie haben in einem Interview mit der Kleinen Zeitung einmal von Ihrem Großvater als Lehrmeister gesprochen, davon, dass er in Ihnen früh einen Leader gesehen hat. Was hat Sie zu einem Anführer werden lassen oder ist es weniger Sozialisierung, sondern mehr gegebenes Führungstalent?

Alle, die mit mir früher zusammengearbeitet haben, haben mir gesagt, ich wäre in meinem Bereich top ob als Fitness- oder Co-Trainer, aber sie konnten sich nie vorstellen, dass ich Cheftrainer werde. Eine Fähigkeit des Co-Trainers ist aber auch, sich unterordnen zu können. Ich habe es immer gespürt, dass ich ein Cheftrainer bin. Als ich es in Wolfsberg in der Bundesliga erreicht habe, war ich schon 20 Jahre als Trainer tätig. Es war eine Grundsatzentscheidung. Ich war oft Cheftrainer in einer unteren Klasse oder der Jugend, während ich Co-Trainer woanders war. Ich habe mich auch privat in Führungsrollen wohlgefühlt, war Klassensprecher, Kapitän als Spieler in der Jugend. Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, in der mein Opa das Familienoberhaupt war. Er war aufgrund der beruflichen Verpflichtung meiner sehr fürsorglichen Mutter und meines Vaters oft präsenter. Er hat sich viel mit Kindern beschäftigt, auch mit mir, dem ältesten Kind. Er hatte auf jede Frage des Lebens eine Antwort und das hat mich beeindruckt. Er war Kapellmeister und hatte mit Fußball nichts am Hut. Er hätte sich eher gewünscht, dass ich Musik mache, aber das hat mich nie wirklich interessiert.

Sie sind aber auch so etwas wie ein Kapellmeister geworden.

Ja, so ist es. (lacht) Mein Opa hat sich im hohen Alter dann auch noch für Fußball zu interessieren begonnen, als meine Trainerkarriere richtig losging. Er hat viel hinterfragt inhaltlich, aber auch zum Thema Menschenführung. Er ist im Jänner mit 91 Jahren verstorben, hat meinen Weg aber bis zu den letzten Tagen sehr nah verfolgt.

Sie haben also keinen Karriereplan. Aber wenn Sie einen Traum benennen müssten, den Sie mit Sturm realisieren möchten, was wäre das?

Ich bin als Jugendlicher einmal am Grazer Hauptplatz auf einer Laterne gehangen. Tausende Leute waren in der Stadt, Sturm wurde zum ersten Mal Meister. Wir kennen alle die Liga und die Machtverhältnisse. Aber wenn man mich wirklich nach meinem Traum fragt, dann wäre es, das zu erleben. Mein großer Traum ist, mit Sturm Graz am Rathausbalkon zu stehen und den österreichischen Meistertitel zu feiern.

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