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21. Dez. 2020

90er-Journal: Der Gamechanger

Das Bosman-Urteil warf im Dezember 1995 das altbekannte Transfersystem über den Haufen. Spieler konnten nach Ablauf ihres Vertrages kostenlos wechseln, die Anzahl der Legionäre stieg sprunghaft an.

TEXT: MATHIAS SLEZAK, FOTO: GEPA PICTURES

Es gibt Spieler, die den Unterschied ausmachen. Die mit einer Aktion eine Partie entscheiden. Jean-Marc Bosman war kein solcher Spieler. Zumindest nicht auf höchstem Niveau. Denn obwohl der Belgier ein großes Nachwuchstalent gewesen war - „ein richtiger Zehner“, wie er selbst einmal in einem Interview gesagt hat - war seine Karriere mit 26 Jahren eher am absteigenden Ast. Nach zwei Jahren beim RFC Lüttich machte ihm der belgische Erstligist ein Angebot mit deutlich reduzierten Bezügen. Bosman wollte daraufhin zum französischen Zweitligisten USL Dunkerque wechseln, doch Lüttich verlangte eine Ablöse, obwohl Bosmans Vertrag bereits ab-gelaufen war. Eine zu diesem Zeitpunkt gängige Praxis.

„Damals bist du auch zu Vertragsende nicht weggekommen“, erzählt Jürgen Werner. Der heutige LASK-Vizepräsident war als Spieler selbst ein Betroffener der Vor-Bosman-Regelung: „1988 hatte ich Angebote aus der spanischen Liga von La Coruna und Oviedo, aber mein damaliger Verein hat zu viel verlangt.“ Um kostenlos wechseln zu können, mussten Spieler eine sogenannte Stehzeit von bis zu zwei Jahren in Kauf nehmen.

Auch Bosmans Transfer scheiterte und er ging vor Gericht, klagte sich durch die Institutionen, bis der Fall schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof landete. Und dessen Entscheidung, dass Spieler nach Ablauf ihres Vertrags kostenlos wechseln können, erschütterte am 15. Dezember 1995 das gesamte Fußballsystem.

„FALL RODAX“

Damit war auch die österreichische Sonderlösung obsolet, die eingeführt worden war, nachdem Gerhard Rodax 1990 vor das Wiener Arbeitsgericht gezogen war. Die Admira hatte ihm die Freigabe für seinen Transfer zu Atletico Madrid verweigert. Der Fall wurde zwar nicht ausjudiziert, da sich die Klubs noch einigen konnten, man war aber gewarnt und führte neue Bestimmungen ein: War der Vertrag eines Spielers abgelaufen und konnten sich die beiden Vereine nicht einigen, konnte der Senat 2 der Bundesliga die Ablösesumme verbindlich festsetzen. Dabei wurde ein komplizierter Schlüssel angewandt: So wurden unter anderem das bisherige Gehalt, Prämien, Länderspiele, das Alter und die Platzierungen der jeweiligen Klubs berücksichtigt.

Das Bosman-Urteil bedeutete auch den Wegfall sämtlicher Ausländerbeschränkungen. Erlaubt waren davor drei Legionäre und zwei Spieler, die seit mindestens fünf Jahren (davon drei im Nachwuchs) im Land spielten. Die UEFA führte noch im Winter ein Solidaritätsagreement ein, dass die europäischen Bewerbe mit den geltenden Ausländerbeschränkungen fertig gespielt werden sollten, in Österreich scheiterte das am Widerstand einzelner Klubs. Ab Sommer 1996 stieg der Legionärsanteil stark an und verdoppelte sich bis zum Ende der 90er-Jahre auf rund 40 Prozent.

„Das Bosman-Urteil hat für die Vereine einiges geändert“, sagt Werner. Als Manager des FC Linz und später als Spielervermittler hat er diese Entwicklung hautnah miterlebt: „Es wurde dann natürlich versucht, längere Verträge abzuschließen, weil man sich ja nicht mehr darauf verlassen konnte, dass der Spieler auch nach Vertragsende an den Verein gebunden ist.“ Die Spieler, die bis dahin immer von ihren Klubs abhängig gewesen waren, saßen durch das Urteil plötzlich auf dem längeren Ast. Es gibt Spieler, die den Unterschied ausmachen. Die mit einer Aktion den gesamten Fußball verändern. Jean-Marc Bosman war so ein Spieler.

Jean-Marc Bosman bei einem Benefiz-Spiel im September 2008.

Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo