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21. Dez. 2020

90er-Journal: Die Wucht der Rekordkulisse

In der Saison 1995/96 lieferten sich Rapid und Sturm ein Kopf-an-Kopf- Rennen um den Meistertitel. Die Entscheidung fiel erst im direkten Duell in der letzten Runde. 48.000 Zuschauer waren im Ernst-Happel-Stadion dabei - bis heute Bundesliga-Rekordkulisse. Rapid-Verteidiger Michael Hatz und Sturm-Mittelfeldspieler Markus Schopp erinnern sich an eine besondere Saison.

GESPRÄCHSPROTOKOLL: MATHIAS SLEZAK, FOTOS: GEPA PICTURES

Michael Hatz

Nach den schwierigen Anfangsjahren der 90er, als es dem Verein sportlich und finanziell schlecht gegangen ist, ist es ab 1994 relativ rasant bergauf gegangen. Ernst Dokupil hat die Mannschaft übernommen und umgekrempelt. Er hat ein sehr gutes Gespür für die die Spieler gehabt und es geschafft, wieder Spaß reinzubringen - daraus hat sich eine irrsinnige Dynamik entwickelt. Zwei Ereignisse aus der Vorsaison waren wesentlich für den Erfolgsrun 95/96. Zunächst der Sieg in der Stadthalle im Jänner 1995, wo wir normalerweise eher selten gewonnen haben, und dann der Cupsieg gegen Leoben, der erste Titel für Rapid seit sieben Jahren. Das waren die Initialzündungen für diese Wahnsinns-Saison 1995/96.

Austria Salzburg war eigentlich der große Favorit, die sind aber katastrophal gestartet und wir sind vorneweg marschiert. Allerdings hat sich bald Sturm als erster Verfolger herauskristallisiert. Die haben eine super Mannschaft und mit Ivica Osim einen wahnsinnig guten Trainer gehabt und haben sich einfach nicht abschütteln lassen. Im Frühjahr war nach einem guten Start eine Zeitlang sogar noch Tirol vorne mit dabei, ist bis auf einen Punkt herangekommen und hat das Titelrennen für eine kurze Zeit zum Dreikampf gemacht. Das war typisch für diese Saison, eigentlich hat jeder jeden schlagen können.

Die Bundesliga war damals voller Typen: die beiden Präsidenten aus Graz, unsere Spaßtruppe rund um Didi Kühbauer und Co. Jeder hat sich etwas einfallen lassen, der Showfaktor war extrem groß, immer war irgendwas. Es hat natürlich die Rivalität befeuert, dass Hannes Kartnig lautstark und selbstbewusst immer wieder einige Spitzen abgesetzt hat, aber das gehört dazu.

Für uns war die Situation nach dem verlorenen Europacupfinale Anfang Mai gar nicht so einfach, wir waren körperlich und mental ein wenig ausgelaugt, haben den Vorsprung auf Sturm aber in die letzte Runde retten können. Dass das Titelrennen dann ausgerechnet im letzten Spiel im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion entschieden werden sollte, hätte man nicht besser planen können. Das war wahnsinnig dramatisch: Wir waren reif für den Titel, ausverkauftes Haus, der Druck vor dem Spiel, die geile Stimmung. Wir waren so motiviert und entschlossen, dass wir Sturm regelrecht gefressen haben, obwohl die eigentlich keinen Schwachpunkt gehabt haben.

Wir haben in dieser Saison viele großartige Auftritte gehabt, aber spielerisch war das wahrscheinlich das beste Match von uns, auch weil wir taktisch hervorragend eingestellt waren. Ich habe damals die Sonderaufgabe gehabt, mich um Ivica Vastic zu kümmern und habe ihn eigentlich über die gesamte Spielzeit neutralisieren können. Kurz vor Schluss bin ich nach einem Kopfballduell mit ihm schlecht gelandet und musste ausgewechselt werden, weil mein Knöchel angeschwollen ist.

Am schönsten waren die Feierlichkeiten mit den zehntausenden Fans auf dem Rasen, als der Meistertitel festgestanden ist. Am nächsten Tag bin ich dann müde, aber glücklich nach Verona geflogen, weil der AC Reggiana, bei dem ich damals schon unterschrieben hatte, dort um den Aufstieg in die Serie A gespielt hat. Sie haben mit 1:0 gewonnen und damit war klar, dass ich in der nächsten Saison in der besten Liga der Welt spielen würde. Ich habe 24 Stunden nach dem Meistertitel also schon wieder riesigen Grund zur Freude gehabt.

Das Meisterrennen 1995/96 im Video:

 

Markus Schopp

Wir haben die zweite Saison unter Ivica Osim gespielt und haben mit unserer jungen Mannschaft in diesem Jahr einen weiteren großen Schritt in unserer Entwicklung gemacht. 1995/96 war die erste Saison, in der es drei Punkte für einen Sieg gegeben hat. Wäre diese Regel bereits ein Jahr früher gekommen, wären wir 1995 bereits Meister geworden. Die Erwartungshaltung war dementsprechend groß und wir wollten unbedingt einen Titel holen.

Wir haben zu dieser Zeit ein so rasantes Wachstum in unserer Mannschaft gehabt, dass wir schon damit gerechnet haben, dass der erste Titel passieren kann. Wenn nicht in diesem Jahr, dann jedenfalls in Bälde. Mit Hannes Kartnig haben wir einen Präsidenten gehabt, der es geschickt verstanden hat, das Instrument der Medien zu spielen. Der Hannes ist vorneweg marschiert, um Sturm Graz immer mehr zum Thema zu machen und wir als Mannschaft mit Trainer Ivica Osim und Manager Heinz Schilcher haben dahinter unsere Arbeit machen können. Die Reaktion der Konkurrenz aus Wien und Salzburg hat uns gezeigt, dass sie schon gemerkt haben, dass da bei uns im Süden etwas entsteht und näher kommt - und zwar nicht als fernes Trommeln, sondern schon relativ nah. Wir haben es in diesem Jahr geschafft, von der Underdog-Rolle wegzukommen, hin zu einer Mannschaft, die fast immer in der Favoritenrolle war und das Spiel gemacht hat. Das ist uns über die ganze Saison gesehen immer besser gelungen, wir sind von Spiel zu Spiel gefestigter aufgetreten. Das Problem war eigentlich nur, dass uns Rapid im Weg gestanden ist, die ein unglaublich starkes Jahr gespielt haben und meistens knapp vor uns waren.

Dass es dann so dramatisch enden sollte, mit einem direkten Finalspiel im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion, war ein angenehmer Nebeneffekt - natürlich in erster Linie für die Rapidler, die den Großteil der Zuschauer hinter sich hatten, aber auch wir hatten rund 5.000 Sturm-Fans mit dabei. Rapid war es bereits gewohnt, in einem ausverkauften Happel-Stadion zu spielen, für die meisten von uns war es hingegen das erste Spiel vor so einer großen und wuchtigen Kulisse.

Für unser erstes großes Finalspiel haben wir das auch nicht so schlecht gemacht, allerdings hätten wir einen Sieg gebraucht und haben an diesem Tag unsere Möglichkeiten leider nicht so vorgefunden, wie wir das über die Saison gewohnt waren. Dazu ist gekommen, dass Rapid über 90 Minuten richtig stark gespielt hat. Sie waren an diesem Tag eine Spur reifer und abgebrühter und haben dann schlussendlich mit 2:0 gewonnen und den Titel geholt.

Für uns war die Herausforderung, diese emotionale Situation mit einem verlorenen Titel so schnell wie möglich zu verarbeiten und uns gleich wieder zu fokussieren, denn bereits vier Tage später ist für uns das Cupfinale gegen die Admira auf dem Programm gestanden - abermals im Happel-Stadion. Wir haben mit 3:1 gewinnen können und den ersten Titel in der Vereinsgeschichte geholt. Das war für mich ein wunderschöner Abschied, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen, den nächsten Karriereschritt zu setzen und im Sommer zum HSV zu wechseln. Eineinhalb Jahre später bin ich zu Sturm zurückgekehrt und war mit dabei, als unsere Zeit dann endlich auch in der Meisterschaft gekommen war.

Das Meisterschaftsfinale 1996 im Video:

Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo