21. Dez. 2020

90er-Journal: Hallengtter & Rote Teufel
Mit einem außerirdischen Peter Stöger und Flögels unnachahmlichem Traumtor erlebte das Wiener Hallenturnier seine letzte große (violette) Blüte. Mit fantastischen Technikern in allen Reihen und einem sensationellen Underdog, der mit einem Überschallbomber und Last-Minute-Kaffeehaus-Transfer den übermächtigen Bezirksrivalen knackte.
TEXT: CHRISTOPH KÖNIG, FOTO: GEPA PICTURES & PRIVAT
Den „Eierbecher“ für seinen Zaubertrick hat Tommy Flögel heute noch zuhause. Schuld daran, dass er einen Pokal für das schönste Tor beim Wiener Stadthallenturnier 1991/92 daheim hat, sind Herbert Prohaska und ein paar VHS-Kassetten. Prohaska, weil er als Austria-Trainer vehement einen Pokal für seinen Schützling forderte und dafür einmalig der schönste Treffer des Turniers prämiert wurde. Die Videobänder, weil Flögel darauf Tricks von holländischen Kids beim Training sah, die ihn zum Magic Moment inspirierten. Der passierte dann ganz spontan: Einwurf von Manfred Kern in den Rücken des 20-jährigen Austria-Jungstars. Der hechtet nach vorne und versenkt den Ball per Ferse über den eigenen Kopf zum 3:1 gegen die Admira. „Ich hätte ihn gar nicht anders treffen können“, lacht er heute. Das Skorpion-Tor ging in die Geschichte ein.
Wie schwierig dieses Gustostückerl ist, beweist der Umstand, dass erst 29 Jahre später einem Österreicher ein Tor mit dem selben Move gelang. Valentino Lazaro scorte genau so in der deutschen Bundesliga für Gladbach - und das gilt jetzt schon als Tor des Jahres. „Seiner ist genauso schön in die lange Ecke gegangen. Nur meine Landung war am Parkett etwas härter“, lacht Flögel.
PLANET STÖGER
Flögels Kulttor steht für die letzte große Blüte des Stadthallenturniers, in der noch einmal vom Feinsten gezaubert wurde. Im Gegensatz zu den 80er-Jahren, die Herbert Prohaska mit seiner Einsergarnitur dominierte, waren es in den 90er Jahren zwei bärenstarke Abteilungen der Veilchen, die das Team um Wohlfahrt, Flögel, Prosenik, Ivanauskas und Co. fast unschlagbar machten. Angeführt vom überragenden Peter Stöger: „Der spielte in der Halle wie Prohaska - leichtfüßig, wie auf einem eigenen Planeten“, schwärmt Flögel.

Mit ihm gewann die Austria 1990/91, 1991/92 und 1993/94. Flögel selbst war 1993/94 mit elf Treffern Schützenkönig und 1995/96 Spieler des Turniers, als es mit 55.600 Fans einen Zuschauerrekord gab und die Violetten ebenso wie 1999/2000 gewinnen konnten. „An manchen Tagen waren mehr Leute in der Halle als bei unseren Ligaspielen im Horr-Stadion.“ Die Stadthalle zum Beben brachte natürlich die ewig junge Rivalität mit Rapid. Die Hütteldorfer konnten mit Kühbauer, Konsel und Co. dreimal triumphieren (1994/95, 1996/97,1997/98).

Der überraschende Sieg des LASK 1999 fiel in die Zeit des Hallencups, bei der die Euphorie um den Stadthallenkick zurückging. Flögel kennt die Gründe: „Das Spiel wurde immer taktischer. Die Tormänner haben begonnen mit weiten Auswürfen das Feld zu überbrücken. Und es stand einfach zu viel Geld auf dem Spiel. Kein Verein wollte mehr die Verletzung eines teuren Spielers riskieren.“ Negatives Highlight: Nachdem 1997/98 die Spielzeit von 12 auf 10 Minuten reduziert wurde, gab es zwischen der Wiener Auswahl und der Austria das erste 0:0 der Stadthallengeschichte. Eine Bankrotterklärung.
„WIE EIN MEISTERTITEL"
Ganz anders war das noch in der ersten Hälfte der 90er-Jahre: „Die Taktik war simpel: Wenn du einen ausdribbelst, bist du in Überzahl.“ Für junge Spieler wie Flögel war die Stadthalle eine riesige Chance: „Wir konnten uns hier für die Kampfmannschaft empfehlen“. Die Spielfreude stand im Vordergrund. Hallenluft geschnuppert hatte Flögel schon in der U13, die vor den Großen spielen durfte: „Wir waren gerade mal so groß wie die Bande und die Halle ist wirklich riesig.“ Später saugte er die Atmosphäre mit allen Poren auf: „Die Stimmung hat uns gepusht. Und ich kann mir nichts besseres vorstellen als Parkett, auf Kunstrasen pfeife ich. Manchmal war es sehr rutschig und du hattest einen ganz ausgetrockneten Mund, weil so viel in der Halle geraucht wurde.“

Geraucht haben aber auch die Sohlen der Schuhe wegen der unglaublich packenden Duelle. Denn nicht nur Austria und Rapid, auch die anderen Mannschaften in und um Wien wie Vienna, Sportclub oder Admira waren irrsinnig stark. Mit tollen Kickern wie Kühbauer bei Admira, später bei Rapid, Ivica Vastic als Vienna- und Sturm-Filigrangeiger, Ernst Mader oder Günther Jerabek. Dazu kamen Überraschungsteams wie Donaufeld. Die raubten vor Einführung der Rückpassregel 1992 den Gegnern mit Rückpassorgien zum Tormann den Nerv. Für den Sensationscoup sorgte aber 1992/93 der FavAC mit dem Turniersieg. Ein Schönheitsfehler für Flögels Austria, die damals im Finale nach 2:2 in der regulären Spielzeit im Elfmeterschießen verlor. „Für uns Wiener zählte der Sieg in der Stadthalle wie ein Meistertitel. Das hatte einen unglaublichen Stellenwert. Davon haben wir schon als Buben geträumt“, weiß Damir Canadi, der mit seinen Roten Teufeln und Alfred Riedl als Coach den Favoritner Lokalrivalen bezwang.
WIENER „GFRASTA"
Der FavAC war damals eines der wenigen Teams, das der Austria spielerisch das Wasser reichen konnte. Mit einer jungen Truppe und Kickern, denen für den Durchbruch bei den großen Teams ein wenig die Einstellung, aber ganz und gar nicht das Talent fehlte. „Wir waren halt Gfrasta“, sagt Canadi über sich und seine Kollegen.
Die Sensation in der Stadthalle nahm damals im Cafe Galerie ihren Anfang. Denn im berüchtigten Tanzlokal auf der Laxenburger Straße in Favoriten trafen sich die Kicker verschiedener Vereine. Und so kam es, dass Canadi, Nastl, Köck und Co. hier kurzfristig Herbert Gager als Gastspieler und Ersatz für den verletzten Robert Hoffmann rekrutierten.

Zusammen mit Heu, Michorl und Fred Schaub, die von der Admira zum FavAC gewechselt waren, sowie Oliver Prudlo und Peter Letocha war das Hallen-Dreamteam perfekt. Nur wenn es um Freistöße ging, mussten alle zurückstecken. Denn die ließ Jerabek nur vom Kapitän ausführen - und der hieß Jerabek: „Geh weg, ich schieß ihn Überschall zwischen die Augen', hat er immer gesagt“, lacht Canadi. Die Freundschaften zwischen den Spielern haben bis heute gehalten. Ebenso wie die Erinnerungen an die glorreiche Stadthallenzeit, die jeder - egal ob Fan oder Spieler - wieder herbeisehnt. Doch wie damals wird es nie mehr: „Der Spielkalender ist für die Profis viel zu vollgepackt“, weiß Flögel. Der kann den Skorpion-Move übrigens heute noch: „Nur führe ich ihn jetzt im Stehen und nicht mehr fliegend aus.“
Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo
