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26. Juli 2023

Archivar der Emotionen

Gerald Piffl ist Fotohistoriker und Produktmanager für historische Archive bei APA-PictureDesk. Seit einiger Zeit gibt es eine enge Vertriebskooperation mit dem bedeutenden historischen Bildarchiv von IMAGNO Brandstätter Images. Im Interview spricht er über die Besonderheiten des Fußballs, die Entdeckung von bisher unveröffentlichtem Material und die Entwicklung der Fotografie.

 

Wir leben in einem digitalen Zeitalter, alles muss immer schneller gehen, jederzeit verfügbar sein und ist dann meist nur von kurzer Relevanz. Warum investieren Sie so viel Zeit in die Arbeit mit Negativfilmen und alten Fotoabzügen?

Weil das Material gebraucht wird. Es ist ja in anderer Form nicht vorhanden und bevor es nicht digitalisiert wird, ist es auch nicht in digitalen Datenbanken verwendbar. Wenn man heutzutage digitale Fotos erstellt, werden diese direkt in die Datenbanken gespielt. Jedes Bild, das nur als Print oder Negativ verfügbar ist, muss gezielt ausgewählt und intellektuell bewertet werden.

Das hat sich auch bei der Recherche zu diesem Journal gezeigt: Vieles war digital noch nicht erfasst, also in der Öffentlichkeit nicht vorhanden, obwohl es existiert. Sind in Ihrem Archiv Fußball-Schätze vergraben?

Im Zuge der Recherche haben wir festgestellt, dass wir über das umfangreichste historische Fußballarchiv in Österreich verfügen. Heute wird im Überfluss vieles aussortiert und gelöscht. Damals wurde genauso wie heute tagesaktuell fotografiert, mit dem Unterschied, dass nichts gelöscht wurde. Die Negative sind für immer vorhanden. Auch Jahrzehnte später kann man immer noch Filme ausgraben, analysieren und neue Aspekte entwickeln. Es gibt einen großen Fundus an Bildern, die wieder Bedeutung erlangen, wenn man sie in einen historischen Zusammenhang stellt. Insgesamt befinden sich ja rund 2 Millionen Bilder und Negative allein im Votava/IMAGNOArchiv.

Bei Fußballklubs spielt die eigene Tradition eine große Rolle und hilft, eine emotionale Bindung zu den eigenen Fans aufzubauen.

Historische Bilder können dabei helfen, den Klubs eine Identität zu geben. Bei Fotos und bewegten Bildern geht es allgemein um Emotionalisierung und Identität. Das heißt, ich will diese Tradition sehen: Wie hat der Meisterteller damals ausgehen?
Wie war es, als alle Fans mit der Mannschaft auf dem Platz gefeiert haben? Die Fotografie hat die Eigenschaft, dass sie Emotionen in einem einzigen Bild kondensiert. Dafür eignet sich der Fußball wunderbar. Alles steuert auf einen gewissen Höhepunkt hin: die Tore, den Jubel, aber auch Tränen.

Die Fotografie harmoniert mit dem Fußball also mehr als mit anderen Bereichen?

Fußball eignet sich besonders gut, um Geschichten zu erzählen. Anders als beim Skifahren oder Autorennen - das sind Tätigkeiten, die immer gleich aussehen. Beim Fußball ist es immer das Warten auf diesen besonderen Augenblick. Und für den Fan ist es genau dieser Sieg, der mit den Jahren immer mehr glorifiziert wird. Je länger ein Ereignis her ist, desto unterschiedlicher schaut die heutige Welt aus, auch der Fußball ändert sich laufend, sei es die Spielweise oder das Drumherum. Das alles macht ein Zeitkolorit aus, das Fans und Historikern gefällt.

Wie haben Sie die Recherche zu diesem Bundesliga-Journal miterlebt?

Jede Recherche hat ihre spannenden Momente. Es gibt wahnsinnig ja viel Material, das über die Jahrzehnte erstellt wurde. Speziell die 70er-Jahre waren in der Fotografie ein Knackpunkt, was die Masse betrifft. Anhand des Votava-Archivs sieht man deutlich, dass die Menge an fotografiertem Material deutlich ansteigt. In den 50ern und 60ern wurden meist mehrere Spiele auf einem Film fotografiert, in den 70ern wurden bis zu drei Kleinbildfilme bei einem Spiel verschossen.

Welche Entdeckungen hat es bei dieser Recherche gegeben?

Wir haben uns beispielsweise mit dem ersten Bundesliga-Tor beschäftigt, dass vom Admiraner Hannes Demantke am 9. August 1974 beim Spiel gegen Eisenstadt erzielt wurde und genau dazu ein Foto aus dem Bestand gesucht. Auf dem dazugehörigen Film zeigt eines der ersten Fotos einen Torschuss, der auf den weiteren Negativen in einem Tor resultiert. Es ist uns dann auf einem dieser weiteren Bilder gelungen, eine Uhr im Hintergrund zu erkennen, die 19:14 Uhr zeigt. Da das erste Tor nur eine Minute vorher gefallen ist, handelt es sich somit offensichtlich um eine Fotografie des ersten Bundesliga-Tors. Das sind dann die Highlights, wenn man genau diesen besonderen und noch unveröffentlichten Augenblick aus der Masse herausfindet.

Man kann Ihre Arbeit in gewisser Weise mit jener eines Detektivs vergleichen. Was aber passiert, wenn aus vorhandenem Bildmaterial die falschen Schlüsse gezogen werden?

Es gibt dieses ganz berühmte Foto von Gavrilo Princip, dem Attentäter von Sarajevo 1914, das ihn bei seiner Verhaftung zeigt. Das kennt jeder Mensch. Das blöde ist nur, dass der junge Mann auf diesem Foto nicht Princip ist. Es wurde in allen Zeitungen und vielen historischen Bänden publiziert, bis ein Kollege vor einigen Jahren herausgefunden hat, dass auf dem Foto eigentlich ein gewisser Ferdo Behr zu sehen ist, der damals verhaftet wurde, weil man ihn für den Attentäter hielt. Er wurde kurz darauf wieder freigelassen. Genau das ist die Gefahr: Die Überlieferung einer tradierten Fake-News, die aber trotzdem für etwas steht. Das Bild hat ja Symbolcharakter.

Passiert so etwas öfter oder handelt es sich dabei um den berühmten Einzelfall?

Man hat einigen Fotografen im Laufe der Jahre nachgewiesen, dass diverse Fotos gestellt waren. Ein prominentes Beispiel ist das Aufrichten der US-Flagge auf Iwo Jima. Aber auch wenn es inszeniert war, steht es für etwas und ist dadurch zu einem wichtigen Key-Picture geworden.

Korrigiert wurde häufiger. Welche Tricks haben Fotografen früher angewandt?

Der Klassiker in der Fußballfotografie ist der aufgeklebte Ball. Also wenn bei einem Torschuss der Ball nicht mehr auf dem Negativ zu sehen war, hat man sich bei einem anderen bedient und ihn einfach aufgeklebt. Derartige Bearbeitung waren nicht als Fälschungen zu sehen, sondern als Verbesserungen. Deswegen war es im Tagesgeschäft durchaus üblich, korrigierend einzugreifen, damit das Bild ein besseres ist.

Wie schaut das heute aus?

Derartige Veränderungen sind heutzutage unvorstellbar. Im Feld der journalistischen Fotografie wird sehr stark darauf geachtet, dass in das Bild nicht eingegriffen wird. Das publizierte Bild muss korrekt sein. Ich denke hier etwa an einen Fall aus dem Jahr 2006 als eine große internationale Nachrichtenagentur einen freien Fotografen fristlos entlassen hat, weil dieser auf einem Foto eines israelischen Raketenangriffs auf Beirut den Rauch dunkler und dramatischer machte.

Wie sehr hat sich die Fotografie insbesondere durch die Digitalisierung entwickelt?

In der Fototheorie bedingt die Möglichkeit, also das Angebot des Apparats, immer das Resultat. In den 20er und 30er-Jahren gab es Rollfilme mit 12 Aufnahmen, dann kamen die Kleinfilme mit 36 Fotos. Ich weiß von Erzählungen, dass ein Fotograf, der zu viel fotografiert hat, bei seiner Rückkehr in die Agentur schon mal gerügt wurde. Die Devise war immer, sich vorher zu fragen, ob es sich lohnt, hier abzudrücken, weil der Kosten- und Arbeitsaufwand bis hin zum Erstellen eines Abzuges ein viel höherer war. Wenn nun die Grenzen nach oben offen sind, weil meine Speicherkarte Platz für tausende Fotos hat, wird mehr fotografiert und eine breite Masse aufgebaut, mit der Idee, dass unter vielen Fotos das eine besondere dabei sein wird. 

 

picturedesk/votava