14. Apr. 2023

Comeback wie ein Wikinger
Für die SV Ried gilt es in diesen Wochen darum zu kämpfen und alles dafür zu tun, um den Klassenerhalt in der ADMIRAL Bundesliga zu schaffen. Ein Ansatz, den Mittelfeld-Motor Michael Martin verinnerlicht hat, wie seine spannende Geschichte zeigt. Vor dem so wichtigen Heimspiel gegen die WSG Tirol (Freitag, 19.30 Uhr, live auf Sky) porträtieren wir den Deutschen, der all seine Zweifler Lügen gestraft hat.
Unzufriedener Grübler
Im Jänner 2020 entscheidet sich der junge Fußballer Michael Martin dazu, einen ungewöhnlichen Schritt zu setzen. Nach einer halben Saison ohne Spielzeit steht er plötzlich wieder mit seinem Bruder Daniel auf dem Platz. Weit entfernt vom Profifußball, auf den er im Sommer nach seiner erfolgreichen Zeit in der U19 des VfL Bochums gehofft hatte, sondern in der siebthöchsten Leistungsstufe Deutschlands. Liga sieben, richtig gelesen. Doch jetzt, nur drei Jahre später, ist alles anders: Michael Martin hat es geschafft – und sich zurückgekämpft.

Bis auf das Auswärtsspiel gegen Austria Wien und eine Gelbsperre gegen Altach verpasst der 22-jährige Deutsche bis jetzt kein Spiel seiner SV Guntamatic Ried, grätscht und rackert im zentralen Mittelfeld in bester traditioneller Innviertler Wikingermanier über die Spielfelder der österreichischen Bundesliga. Und zeigt mit seiner Spielintelligenz Runde für Runde, warum er als einer der Entdeckungen der bisherigen Saison gilt. Aber warum war der Mann, der von Vorwärts Steyr nach Ried wechselte, überhaupt in Liga sieben und später auch noch ein Jahr in der deutschen Regionalliga Süd-West aktiv?
Die Geschichte des Comebacks des Michael Martin ist zunächst einmal die eines ehrgeizigen Jugendspielers, der viel mitbringt, was es für eine Profikarriere braucht. Nach Stationen beim VfR Aalen und dem 1. FC Heidenheim schließt sich der gebürtige Baden-Württemberger dem VfL Bochum an. Martin etabliert sich schnell beim Traditionsverein. Und ist Stammspieler jener U19, die vom späteren Bochum- und Schalke-Cheftrainer Dimitrios Grammozis trainiert wird. Als Grammozis Ende Februar 2019 zu Darmstadt in die 2. Liga wechselt, übernimmt der Leiter der Nachwuchsabteilung interimistisch das Team. Sein Name ist Alexander Richter.
„Micha und ich hatten eine sehr erfolgreiche Zeit gemeinsam“, erinnert er sich zurück. „Wir haben den Westfalenpokal gewonnen, wo wir im Halbfinale Borussia Dortmund schlagen konnten. Ich erinnere mich genau, dass Micha in diesem Spiel überragend war.“ Schon damals habe Martin mit seiner Spielübersicht, guten Lösungen auf engem Raum und seiner Beidfüßigkeit als Lenker im Mittelfeld auf der Sechs oder Acht aufzeigen können. „Er war aber jemand, der schnell ins Grübeln kam. Er war unangefochtener Stammspieler, aber wenn er zehn Minuten vor dem Spielende ausgewechselt wurde, um für das nächste Spiel geschont zu werden, war er schon unzufrieden“, erklärt Richter, der mittlerweile bei Eintracht Frankfurt als Nachwuchsleiter tätig ist.
Stehzeit im Herbst
„Ich bin sehr ehrgeizig“, erzählt Michael Martin selbst, auf seine Einstellung angesprochen. „Ich will jede Minute auf dem Platz stehen.“ Dass er es noch einmal in den Profifußball schafft, hatte für die ehrgeizige Kämpfernatur immer Priorität. Auch in der siebten Liga. „Ich habe immer daran geglaubt, und meine Familie hat mich unterstützt, den Glauben nie zu verlieren.“ Aber wie kam es nun zu diesem Knick nach seiner Zeit in der Bochumer U19? „Ich war damals regelmäßig bei den Profis dabei und hab gute Leistungen gebracht“, erinnert sich Martin zurück. „Ich dachte, ich werde hochgezogen, aber dann habe ich keinen Vertrag bekommen.“
Es folgt eine harte Zeit für ihn. „Ich war extrem traurig, weil ich das Gefühl hatte, bereits ein Teil der Profis zu sein.“ Es ist Sommer 2019. Für Martin gibt es in der Folge einige Interessenten, es sollte aber nirgendwo passen. Den ganzen Herbst steht er, macht kein Spiel. „Der Neustart beim Verein meines Bruders im Jänner 2020 hat sich dann angeboten.“ Nach einem Jahr überspringt Martin drei Leistungsstufen. Bei Bayern Alzenau in der deutschen Regionalliga findet er endgültig wieder das Vertrauen in sein Spiel, doch der Verein steigt am Ende der Saison ab.
Neustart in Steyr
Im Oktober 2021 ergibt sich – wieder nach ein paar Monaten ohne Verein – ein Probetraining bei Vorwärts Steyr. Der Kampf zurück zum alten Niveau, er geht weiter. „Ich konnte in Steyr schnell zeigen, was ich draufhabe und habe direkt einen Vertrag bekommen.“ Im selben Monat debütiert er für die Oberösterreicher, erzielt in 14 Spiele vier Tore. Die SV Ried wird in dieser Zeit auf den mittlerweile 21-Jährigen aufmerksam – und stattet ihn vergangenen Sommer mit einem Zweijahresvertrag aus. „Die Verantwortlichen haben schon früh Kontakt zu mir aufgenommen, da habe ich keine Sekunde überlegt und wollte die Chance wahrnehmen.“
Der Rest ist jüngere Erfolgsgeschichte. „Ich habe mich von Anfang wohlgefühlt in Ried, aber ich arbeite jeden Tag daran, besser zu werden.“ Und wo soll der Weg noch hinführen, bei all diesem Überspringen von Leistungsstufen in nur drei Jahren? Eigentlich kann es bald nur Richtung deutsches Nationalteam und Champions League gehen, oder? Michael Martin lacht. „So weit denke ich nicht, ich schaue von Schritt zu Schritt.“ Gut so, immerhin ist er mit dieser Philosophie stetig zum Stammspieler in der österreichischen Bundesliga aufgestiegen. Und hat jetzt erst einmal das Ziel, mit den Wikingern den Klassenerhalt zu schaffen.
Fotos: GEPA pictures