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14. Okt. 2025

Sahin Radlinger - FK Austria Wien

Samuel Sahin-Radlinger: „Wahnsinn, was man trotzdem packt!“

Austrias Tormann-Fels in der Brandung über Schmerzen, die man übergehen muss, die Ups and Downs der Violetten, Nationalteam-Chancen, den Comebacksieg gegen seinen Stammklub, warum er Rampenlicht im Gegensatz zu seiner Frau scheut, wieso er einen 4 Finger Handschuh trägt und was für ihn eine absolute Frechheit ist. 

Samuel Sahin-Radlinger ist Austrias 196cm großer Fels in der Brandung. Er steht als einziger Bundesliga-Spieler seit 3.690 Minuten durchgehend am Feld – und das, obwohl er einen 4 Finger Handschuh braucht und vor einem Derby vor Schmerzen nicht einmal mehr gehen konnte. Das ist nicht die einzige verrückte Geschichte des spätberufenen Torhüters, der so unglaublich es klingt, nach nur wenigen Monaten als Tormann bei Juve vorspielte. Was natürlich scheiterte, aber eine Karriere startete, die sonst vermutlich als Durchschnittsstürmer in unteren Ligen geendet hätte.

Wie sieht deine persönliche Austria-Bilanz bisher aus?

Letzte und diese Saison hatten die Mannschaft und ich Startschwierigkeiten, bis wir uns gesteigert haben und auch heuer geht es jetzt wieder in eine ganz gute Richtung.

Du bist der einzige Bundesliga-Spieler neben WSG-Goalie Adam Stejskal, der seit Sommer 2024 jede Liga-Spielminute am Platz stand, wobei ihm das Nachtragsspiel gegen Sturm noch fehlt. Damit bist du mit 3690 Minuten aktuell der alleinige Rekordhalter. Wieviel Sicherheit gibt das – du hattest ja schon ganz andere Zeiten in deiner Karriere?

Für Tormänner ist sowas vielleicht ein wenig leichter als für Feldspieler. Wobei man in meinem Alter schon über das eine oder andere Wehwechen drübergehen muss. Einige, wo man sich dann wundert und sich denkt, Wahnsinn, was man trotzdem packt. 3 Tage vor einem Derby zum Beispiel hab ich einen Hexenschuss bekommen, dass ich mich gar nicht mehr rühren konnte. Und natürlich sind die Finger immer wieder Thema – wo das Ball fangen auch mal richtig weh tut. Mein Handschuhausrüster musste mir wegen einer Verletzung im kleinen Finger extra den Handschuh neu zusammenschneidern, damit zwei Finger in ein Fach passen. Bald kann ich hoffentlich wieder auf das normale Modell umsteigen.

Sahin Radlinger Parade - FK Austria Wien

Außer du bleibst ohne Gegentor, weil dann wechselst du deine Match-Handschuhe ja bekanntlich nicht.

Stimmt. Haha. Dann bleib ich beim Vierfinger-Modell.

Du bist zwar schon 32, es ist aber erst deine 6. Saison als Einsergoalie im Profigeschäft. Fühlt sich die Karriere da noch frischer an?

Naja, auch als ich Zweiertormann war, hab ich ja trotzdem jeden Tag trainiert und wenn du nicht spielst, hast du am Tag drauf auch Matchbelastung. Die große Erfahrung als Profi aus meiner Zeit auch im Ausland bei Hannover usw. nehme ich natürlich mit.

Das Nationalteam ist für dich ja immer noch ein großes Ziel. Wo meinst du, müsstest du dich noch verbessern, damit das klappt?

Ich bin ganz ehrlich. Zu meiner Ried-Zeit oder letztes Jahr im Herbst, wo ich über Wochen in Höchstform agiert hab, hab ich mir schon gedacht, vielleicht klappt es mal mit einer Nominierung. Es ist dann leider nur dabei geblieben, dass ich auf Abruf war, was mich aber auch schon sehr gefreut hat. Ich glaube, es braucht eine konstant starke Form, um nochmal Thema zu werden. Das hat man bei Nikolas Polster gesehen. Natürlich bin ich nicht mehr in dem Alter, wo man sagt, schauen wir uns den mal für die nächsten drei WMs an (lacht). Von dem her kann ich es schon realistisch einschätzen. Unmöglich ist es nicht, aber es wird sicher immer schwieriger.

Nachdem ihr letzte Saison so einen unglaublichen Lauf hattet, hättest du dir gedacht, dass man den Start nochmal so verpatzt?

Nein. Trotz aller Kritik und Unruhe von außen, sind wir aber ruhig geblieben. Auch wenn das Aus im Cup und in der Conference League total bitter war. Aber bis auf drei Spiele, die ich da jetzt mal ausnehme, waren die Leistungen nicht so schlecht wie die Ergebnisse. Und in der Liga haben wir das zuletzt wieder gut gemacht. 

Es war aber schon überraschend, dass eine Mannschaft plötzlich wieder so verunsichert sein kann.

Das kann man sich nicht erklären. Natürlich war es ungewohnt, wie wir auf einmal Chancen zugelassen und Tore gekriegt haben. Dann braucht es wieder das eine oder andere Erfolgserlebnis und dann ist alles wieder selbstverständlich. Wir müssen ja nicht immer in Schönheit sterben, sondern können auch einfach mal dreckig zu Null spielen.

Dass Stephan Helm diesen Turnaround noch mit euch schaffen kann, hätte nicht jeder gedacht. Nach dem Negativlauf wurde über seine Ablöse spekuliert. Das gehört ja zum Geschäft. Ein Boulevardmedium hat aber über das Ziel geschossen und vorschnell seine Entlassung verkündet. Habt ihr das mitbekommen?

Ja. Das ist für mich eine absolute Frechheit. Ich war da auch sehr überrascht. Wir hatten da gerade Training und ich hab danach auf mein Handy geschaut und in der Chatgruppe meiner Freunde ging es rund. Kurz war diese Fehlmeldung schon etwas amüsant, aber in Wahrheit muss ich sagen: Das geht gar nicht. Der Trainer hat diese ganze schwierige Phase mit sehr viel Gelassenheit genommen und damit selbst die Ruhe vorgelebt, die er uns immer mitgibt. Ich bin kein Fan von schnellen Trainerwechseln, weil im Endeffekt müssen es wir Spieler richten und er hat letztes Jahr Überragendes mit uns geleistet. Wir haben gewusst, wir kommen da wieder raus. Es war gut vom Verein, dass er keinen Schnellschuss gemacht hat und geglaubt hat, dass ein Trainerwechsel jetzt alles ändert.  

Warum scheint die Stimmung rund um Austria und Rapid generell immer zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, wie bei keinen anderen Vereinen in Österreich?

Sahin Radlinger - Parade Wiene rDerby

Als Spieler darfst du das nicht zu sehr an dich ran lassen. So haben wir es dann geschafft, die Leistungen wieder in positive Ergebnisse umzuwandeln. Und wenn ich daran denke, was dann mit den Fans los war, als wir nach dem Derbysieg zu unserem Stadion zurückgekommen sind, das war schon überragend und richtig cool. 

Hat es dich überrascht, dass Junge wie Saljic oder Radonjic gleich so stark sind?

Nicht überrascht, weil man ja auch im Training sieht, wie sie Gas geben und was sie drauf haben. Aber natürlich weiß man nie, ob es so gut geht, wenn sie reingeschmissen werden. Man merkt jetzt schon, die sind lebendiger die Zwei. Das macht was mit dir.

Denkst du dir da manchmal, was wäre gewesen, wenn du bei Hannover auch so jung in der Deutschen Bundesliga ins Feuer geschmissen worden wärst?

Als Tormann ist es schwierig. Da musst du auf deine Chance warten. Ich hatte damals einen Ron Robert Zieler vor mir. Da wusste ich, über Leistung kannst du den schwer rausboxen, da musst du auf einen Ausfall warten – aber der ist in der ganzen Zeit nie passiert. Einmal, als wir daheim gegen Stuttgart gespielt haben und ich 18 war, lag er am Boden und ich wurde zum Aufwärmen geschickt. Er ist aber wieder aufgestanden. Natürlich denkst du dir, was wäre gewesen, wenn du da auf einmal schon deutsche Bundesliga gespielt hättest. Dem wein ich aber nicht hinterher, ich war bei Hannovers goldenen Jahren dabei, das war schon eine geile Zeit.

Sahin Radlinger bei Hannover96

Dein erstes Duell mit deinem Heimatklub Ried war ein vollkommen verrücktes Spiel, wo ihr ein 0:2 in ein 3:2 gedreht habt. Was ging da emotional in dir vor?

Es ging ja gleich höchst unglücklich los mit dem abgefälschten Tor und meinem Slapstick Gegentor. Das hat mich schon sehr mitgenommen, da war ich am Weg in die Kabine gscheit fertig. Du gehst dann trotzdem raus und denkst dir, es gab schon größere Aufholjagden im Fußball. Dann haben wir ein ganz anderes Gesicht gezeigt und das war sicher so ein Weckruf für uns, mit Moral und Bereitschaft ist alles möglich. Nach dem Sieg ist mir doch einiges vom Herzen gefallen. 
Das Spiel dann im März in Ried wird für mich aber noch besonderer, weil dort meine ganze Familie ist und ich gar nicht weiß, wieviele Karten ich da für sie organisieren muss. Ich hab ja von der U5 bis zu den Profis dort gespielt.

Du bist mit 15 erst zum Tormann umfunktioniert worden. Wie kam es dazu?

Das war im Rieder BNZ beim Sprung in die Akademie. Ich hab mich schon vorher immer wieder gern ins Tor gestellt, wenn es einen gebraucht hat. Die Rieder Tormann-Legende, der Vlado Cvetkovic, hat mich beobachtet und gefragt, ob ich ein Tormanntraining mitmachen will. Ich bin damals schnell gewachsen, hab meine Schnelligkeit als Feldspieler dadurch etwas verloren. Als Spieler hätten sie es mir nicht zugetraut, es hat aber einen dritten Tormann gebraucht – kurz, hab ich überlegt, aufzuhören und nur noch zum Spaß zu kicken, aber dann wollte ich doch weiter mit meinen Freunden spielen. Dann ging es auf einmal ganz schnell. Nach 2 Monaten hab ich als Akademiespieler schon gegen Rapid in der Südstadt mein erstes Spiel gemacht. Das war überragend und zufällig waren Scouts aus Italien da und ein Monat später war ich schon bei Juve, Sampdoria und Empoli beim Probetraining. Das war absurd eigentlich. Da hat man gesehen, als Tormann hat das von der Technik hinten und vorn noch nicht gepasst. Heute noch mache ich gewisse Bewegungen anders, wie Goalies, die es von klein auf gelernt haben. Dann hab ich eh schon den ersten Profivertrag in Ried bekommen und wurde zu St. Florian in die Regionalliga verliehen.

Mit deinem Kopfball vor kurzem in letzter Sekunde gegen Blau-Weiß Linz hast du zumindest deine Gefährlichkeit als Stürmer angedeutet.

Haha, vom Spielstil heutzutage wäre es für mich schon eher schwierig gewesen, aber ein guter Boxstürmer wäre ich schon geworden. 

Ein Typ wie Stefan Maierhofer?

Haha. Ganz so eine Karriere hätte ich wohl nicht gemacht, aber ein paar Tore sicher.

Deine Frau Sila steht als Schauspielerin und Influencerin im Rampenlicht – wie gehst du damit um? Hilfst du als Videograph aus?

Kaum, weil auch das hat sich inzwischen sehr professionalisiert. Ich selber bin ja nicht so der Typ, der gerne auf roten Teppichen im Mittelpunkt steht. Das bin nicht ich. Aber bei besonderen Anlässen bin ich natürlich dabei. Mit unseren zwei Kindern ist es aber nicht so leicht, dass beide einen Abend wegkommen.

Wie sieht es mit deinen Schauspielkünsten aus – Fußballer haben da ja oft Talent.

Nein, ich stehe nicht gern vor der Kamera, vermeide sie, wo es geht. Sila sagt dann immer: „Das taugt dir nicht, aber vor 20.000 Leuten spielen ist dir wurscht?“ Da nimmt man aber das Drumherum nicht so wahr. Natürlich gebe ich TV Interviews nach dem Spiel – ich bräuchte sie aber nicht.

Als Model würdest du ja gute Figur machen, also wenn das Playgirl bei dir anklopft …

Dann lehne ich ab (lacht)

Eure zwei Söhne sind 6 und 7. Zieht es sie mehr in die Fußball oder Schauspielrichtung?

Es fängt bei ihnen grad mit der Fußballbegeisterung an. Sie kommen voll gern ins Stadion, kennen jeden Spieler, holen sich Autogramme. Nur von ihrem Lieblingsspieler dem Fitzi haben sie keines mehr ergattert. Ich hoffe, er kommt mal wieder vorbei, sonst muss ich mit den Buam mal zu ihm nach Minnesota fliegen.  

Text: Christoph König; Fotos: GEPA pictures