02. Juni 2023

SC Wiener Neustadt: Ein E-Mail zum Klassenerhalt
Im September 2010 erklärte Frank Stronach den Rückzug von Magna beim SC Wiener Neustadt. Ein Umbruch wurde eingeleitet. Man wurde zum Abstiegskandidat Nummer 1. Doch der SC wehrte sich. Jahr für Jahr.

75 Pflichtspiele hat Jörg Siebenhandl zwischen 2011 und 2014 beim SC absolviert. Nach seinem Debüt im letzten Spiel der Stronach-Ära stieg der damals 21-jährige Keeper unter Neo-Coach Peter Stöger zur Nummer 1 auf. Die größte Stärke in der Nach-Stronach-Zeit? „Der Zusammenhalt im gesamten Verein.“ Einen Wermutstropfen gab es dennoch: Die Stadion- Thematik, die sich wie ein roter Faden durch die Vereinsgeschichte zog. Mit 14 Neuzugängen und ohne Stadionneubau im Gepäck wurde die Mission Klassenerhalt gestartet.
Am Weg zum ersten Spiel der Saison 2011/12 in Mattersburg kam es zu einem Unfall, bei dem der Mannschaftsbus seitlich mit einem Auto kollidierte. Dennoch hätte die Saison nicht besser starten können – vor allem für den Keeper. Bereits nach zwei Minuten fiel das 0:1. Der Torschütze: Jörg Siebenhandl. Doch wie kam es dazu? „Ich dachte mir, ich schieße den Freistoß einfach hoch vor. Der Ball ist vor dem Tormann aufgekommen und über ihn ins Tor gegangen.“ Um den Treffer musste er dennoch zittern. Denn Günter Friesenbichler versuchte, den Ball vor dem Überschreiten der Linie noch zu berühren, damit ihm der Treffer gehört. „Zum Glück war er schon über 30 und zu langsam“, sagt der Torschütze lachend und hält fest: „Als Kind träumst du davon, Stammtorhüter in der Bundesliga zu sein. Und dann startest du auch noch mit einem Tor in die neue Saison.“ Für den SC folgte eine solide Spielzeit, in der man die Spitzenteams manchmal ärgern konnte und mit zehn Punkten Vorsprung Neunter wurde.
Geierspichlers mentaler Push

In der Saison 2012/13 übernahm Heimo Pfeifenberger das Trainer-Zepter. Es folgte einer der engsten Abstiegskämpfe der Bundesligageschichte zwischen dem SC, SV Mattersburg, Wacker Innsbruck und Admira Wacker. Zwei Runden vor Schluss stand der SC Wiener Neustadt einmal mehr als vermeintlicher Fixabsteiger fest. „Uns hat jeder abgeschrieben“, erzählt der Trainer. „Wir wussten, dass wir die letzten beiden Spiele gegen den Wolfsberger AC und bei Sturm Graz gewinnen müssen, um eine Chance auf den Ligaverbleib zu haben.“
In der Tabelle waren die Niederösterreicher auf Platz 9 zu finden und mussten zuletzt ein 0:6 gegen Salzburg und eine 3:1-Niederlage in Wien-Favoriten hinnehmen. „Die Energie und die Stimmung in der Mannschaft waren trotzdem sehr gut“, lässt der Trainer wissen. Um nichts unversucht zu lassen, wurde Rennrollstuhlfahrer Thomas Geierspichler für einen Impulsvortrag engagiert. Pfeifenberger erinnert sich: „Das war überragend, hat uns emotional richtig mitgenommen und einen richtigen Push gegeben. Ich habe noch nie so viele Menschen mit Tränen in den Augen auf einem Fleck gesehen.“ Der WAC wurde besiegt, es wartete ein Endspiel in Graz. Um der Mannschaft den Druck zu nehmen, kam erneut Geierspichler ins Spiel. Und zwar mit einem Mail an das Team: „Ich habe der Mannschaft nur die Aufstellung sowie das E-Mail in die Kabine gehängt und das Lied „Tage wie diese“ aufgedreht. Die Worte waren fesselnd, der richtige Impuls, um zu zeigen, was alles möglich ist“, blickt der Coach zurück. Die Folge? Der SC konnte einen 3:0- Auswärtserfolg einfahren und blieb als Siebter in der Liga, während SV Mattersburg mit einem Punkt weniger abstieg.
Kultivierte Underdog-Rolle

Dass beim 3:0-Erfolg in Graz sieben Fixabgänge in der Startelf standen, ist sinnbildlich für die Situation in der Nach-Stronach- Zeit. „Wir haben nach jeder Saison einen Umbruch in der Mannschaft gehabt, aber es immer geschafft, junge Spieler zu integrieren und die Liga zu halten“, wird die Zeit von Pfeifenberger beschrieben. Beachtlich dabei: Pfeifenberger hat in 94 Spielen 52 verschiedene Spieler eingesetzt: „Wir hatten einen unglaublichen Spielerwechsel.“ Die Rolle als Underdog wurde in Folge einmal mehr optimal genutzt, um sich auch in der Saison 2013/14 gegen den Klassenerhalt zu stemmen. Nach zehn sieglosen Spielen in Folge in der Saison 2014/15 hat sich der Verein im November 2014 von Pfeifenberger getrennt. Für ein Spiel stand Christian Ilzer an der Linie, ehe mit Helgi Kolvidsson ein neuer Trainer verpflichtet wurde. Der Isländer hat die Neustädter zwischenzeitlich auf den 9. Rang geführt, jedoch waren vier Siege und fünf Unentschieden aus 20 Spielen zu wenig, und man musste den Gang in die Sky Go Erste Liga antreten.
Protest als spätes Eigentor
Der Stadionneubau war endlich beschlossen, in der Liga lief es Jahr für Jahr solide. Als Dritter der Saison 2017/18 hatten die Niederösterreicher die Möglichkeit, über die Relegation gegen den Tabellenletzten der Bundesliga zurück in die höchste Spielklasse zu kommen. Gegen den SKN St. Pölten haben jedoch ein 0:2 im Hinspiel und ein 1:1 auswärts nicht gereicht. Das Duell war damit aber noch nicht Geschichte. Denn der SC Wiener Neustadt legte Protest ein, hatte jedoch das Nachsehen. In der Folgesaison 2018/19 hätte die NV-Arena als Ausweichstadion herhalten sollen, jedoch weigerte sich der SKN, dem Konkurrenten nach den jüngsten Ereignissen das Stadion zur Verfügung zu stellen. Doch es kam noch schlimmer: Aufgrund mehrerer Falschangaben im Lizenzverfahren wurde dem SC wenige Meter vor dem Startschuss für den langersehnten Stadionneubau die Lizenz entzogen, wodurch man in die Regionalliga absteigen musste. „Der SC war ein sehr kreativer Klub“, hat Pfeifenberger festgehalten. Doch diesem kreativen Klub, der endlich sein Ziel erreicht hat, blieb ein Bundesligaspiel in der neuen Arena bislang verwehrt.
Fotos: GEPA pictures