28. Juli 2023

Vergangenheit & Zukunft
Jetzt muss ich zu Beginn doch glatt dem „Wödmasta“ widersprechen. „Schauen Sie, im Fußball gibt es nur eine Gegenwart und eine Zukunft – die Vergangenheit zählt nix im Fußball“, sagt Ernst Happel in der neuen Sky-Doku zum 50-Jahre-Jubiläum der Bundesliga.
Ich glaube hingegen, dass die Vergangenheit im Fußball wichtig ist – und zwar, wenn man sie nicht als Museum, sondern als wichtigen Teil der eigenen Identität begreift. Nicht als etwas, auf dem man sich ausruhen oder Ansprüche daraus ableiten kann, sondern als gewachsenes Selbstverständnis, vielleicht sogar als Kompass für Entscheidungen. Selbst Klubs, die lieber nach vorne als zurück schauen wie der FC Red Bull Salzburg haben sich ihre Identität erarbeitet – Stichwort: Fußball von morgen. Indem sie die größten Talente zu Spielern entwickeln, die reif für die ganz großen Ligen und Europacuptitel sind, wie Erling Haaland, Sadio Mane oder Martin Hinteregger. Auch deren Geschichten sind für Salzburg bereits Vergangenheit – und wohl trotzdem eines der wichtigsten Argumente, wenn es heute darum geht, die Stars von morgen von einem Wechsel in die Mozartstadt zu überzeugen.
Gerade in unserer Zeit ist es wesentlich, sich der eigenen Geschichte und Identität bewusst zu sein. Denn der Kampf um die Aufmerksamkeit der Fans tobt. Die großen Klubs der Top 5-Ligen sind weltweit omnipräsente Marken geworden. Ab 2024 wird der Terminplan mit noch mehr Europacupspielen zugepflastert. Und alle paar Jahre taucht ein Land auf, das die Stars mit noch höheren Unsummen lockt. Jetzt gerade ist Saudi- Arabien das neue China.
In unserer vernetzten Welt bekommen wir all das rund um die Uhr auf unsere Smartphones und TV-Bildschirme geliefert. Wenn es uns ein Anliegen ist, dass die Kinder in Österreich auch weiterhin Trikots von Rapid, Austria oder Sturm tragen und nicht nur jene von Manchester City, Real Madrid oder Al-Nassr, dann müssen wir alle unseren Teil dazu beitragen. Für Liga und Klubs heißt das, auf Fan-Nähe, regionale Verwurzelung und die eigene Identität zu setzen. Eltern können mit ihren Kindern zum Klub der Heimatstadt gehen statt zum internationalen Freundschaftsspiel zwischen Bayern und PSG. Und Medien einmal öfter von den gesellschaftlichen Aktivitäten der heimischen Klubs berichten statt über Transfergerüchte internationaler Stars.
Vielleicht klingt das auf den ersten Blick sogar etwas banal, aber oft sind es eben Kleinigkeiten, die entscheiden, an welchen Fußballverein man als Kind sein Herz verliert. Weil es das erste Trikot war, das unter dem Weihnachtsbaum gelegen ist. Weil der erste Stadionbesuch so überwältigend war. Weil es der Verein des Vaters oder des großen Bruders war – oder ausgerechnet dessen Erzrivale.
Es sind kleine Mosaiksteine, die dazu beitragen, eine neue Generation an Fans für den österreichischen Fußball zu begeistern. Aber wenn es uns gelingt, dann werden wir unseren Platz in der Fußballwelt auch in den kommenden 50 Jahren behaupten. Oder wie es Österreichs Jahrhundertfußballer Herbert Prohaska in der Jubiläums-Doku ausdrückt: „Ich habe in Mailand fünf Derbies gespielt, immer vor 80.000 Menschen. Unglaubliche Stimmung, unglaubliche Spiele. Aber im Herzen hab ich es nicht gespürt. Ich habe nie das Gefühl gehabt wie in Wien. Das ist mein Derby.“ Dem kann ich nicht widersprechen.
Ein Kommentar von Mathias Slezak (Chefredakteur Bundesliga-Journal)
