90er-Journal: Der Umbruch

9. December 2020 in ADMIRAL Bundesliga

In den 1990er-Jahren erhöht sich die Geschwindigkeit des Fußballs auf und abseits des Spielfelds rasant. Neue Regeln werden eingeführt, Verbände und Bewerbe aus dem Boden gestampft. Der Fußball wird zum Business.

TEXT: MATHIAS SLEZAK, FOTOS: GEPA PICTURES

Am 16.11.1991 lädt die Bundesliga zum Heurigen­abend ins Weingut Welser im 19. Wiener Gemeinde­bezirk. In historisch-ge­mütlichem Ambiente - frü­her soll sogar Ludwig van Beethoven immer wieder hier gewesen sein - stim­men sich an diesem Sams­tagabend Funktionäre und Vereinsvertreter auf die Gründungshauptversamm­lung der Bundesliga am nächsten Tag ein. Es riecht nach Wein, nach G’selchtem - und ein bisschen nach Tradition.

ENDLICH EIGENSTÄNDIG

17 Jahre nach ihrer Gründung ist die Bundesliga zu diesem Zeitpunkt noch eine Abteilung des ÖFB. Die maßgeblichen Entscheidungen werden von ehrenamtli­chen Funktionären getroffen. Viele von ih­nen - wie der Bundesliga-Vorsitzende Hans Reitinger - sind bereits seit der Gründung 1974 dabei. Mit einem eigenen Budget und weitge­hend freier Hand, was ihre Entscheidungen betrifft, hat sich die Liga im Laufe der Jahre zwar Stück für Stück verselbstständigt, ist aber noch kein eigenständiger Verband.

„Rein rechtlich gesehen war die Liga damals noch nichts, sämtliche Verträge mussten über den ÖFB ab­geschlossen werden“, erin­nert sich der damalige Liga-­Sekretär Reinhard Nachbagauer. Mit der Eigenstän­digkeit will man der Bun­desliga einen rechtlichen Rahmen und mehr Gewicht im ÖFB geben.

Das geschieht bei der Gründungshauptver­sammlung einen Tag spä­ter. „Ziel ist es, die alleinige Kompetenz für den Spitzenfußball in Österreich zu er­langen“, sagt Reitinger zur Begrüßung. Er wird an diesem Tag zum ersten Präsiden­ten der Liga gewählt. Zwei Wochen später wird die Bundesliga als zehntes ordentli­ches Mitglied - neben den neun Landes­verbänden - in den ÖFB aufgenommen.

ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT

Bei der Hauptversammlung wird auch der Weg zurück zur Zehnerliga einge­schlagen. 1982 war ebendieses Format von der 16er-Liga abgelöst worden. Die muss­te aufgrund stark sinkender Zuschauer­zahlen schon nach drei Jahren zwei Zwöl­ferligen mit Play-offs Platz machen. Von nachhaltigem Erfolg war keine dieser Än­derungen, deshalb soll ab 1993/94 wieder mit zehn Klubs gespielt werden. Reitinger schwört die Klubs auf eine dauerhafte Lö­sung ein: „Es wurde schon zu viel probiert, zu viele Reformen schaden dem Fußball.“

Die Klubs erwarten sich steigende Zu­schauerzahlen, eine bessere Verteilung der Runden auf Herbst und Frühjahr sowie eine höhere sportliche Dichte. Dass die Er­löse aus TV-Rechten und TOTO nur mehr durch zehn dividiert werden müssen, scha­det natürlich auch nicht. Auch ÖFB-Präsident Mauhart ist ein Befürworter der Re­duzierung, er gibt der Liga aber gleich einen Arbeitsauftrag mit auf den Weg: „Die Reform darf keine Alibihandlung sein, mit der alles gut wird, sie muss zur Verbesserung der Rahmenbedingungen führen.“

Um das zu gewährleisten, nehmen meh­rere Fachausschüsse ihre Arbeit auf. „Wir haben damals versucht, alle wesentlichen Bereiche abzudecken und gemeinsam mit den Klubverantwortlichen Strukturen auf­zubauen“, sagt Nachbagauer. In den Berei­chen Termine, Wirtschaft, Medien, Recht sowie Marketing wird an der Weiterent­wicklung der Liga gearbeitet, der zwi­schenzeitlich abgeschaffte Wirtschafts­paragraph wird wieder eingeführt und zur Lizenzierung ausgebaut. Die findet an­fangs noch als „Probelauf“ statt, ab 1996 wird das System scharf geschalten.

Auch auf europäischer Ebene wird refor­miert. 1991 führt die UEFA eine Grup­penphase im Europapokal der Landes­meister ein, um den Bewerb für TV-Stationen attraktiver und planbarer zu machen. Ein Jahr später wird er in „UEFA Cham­pions League“ umbenannt, die TV- und Sponsoring-Rechte werden ab sofort zent­ral vermarktet. Ab 1997 qualifizieren sich auch die Vizemeister der größeren Ligen für die neu geschaffene Königsklasse, wäh­rend für Mannschaften aus kleineren Ligen die Teilnahme zunehmend schwieri­ger wird. Der Geldhahn wird aufgedreht, der Spalt in der Tür zum Konzert der Großen aber zunehmend kleiner.

REGEL-REVOLUTION

Für alle gleich sind die Regeländerun­gen, die nach dem Defensiv-Spektakel bei der WM 90 in Italien (mit 2,21 niedrigster Torschnitt aller Zeiten) eingeführt wer­den. Die Verantwortlichen von FIFA und IFAB versuchen, das Spiel attraktiver zu machen. Ab 1990 gilt gleiche Höhe nicht mehr als Abseits, 1992 wird die Rückpass­regel eingeführt. Ab 1995 sind drei Wech­sel pro Spiel erlaubt und es gibt - nach dem erfolgreichen Probelaufbei der WM 94 - ab sofort drei Punkte statt wie bisher zwei für einen Sieg.

Das soll die Teams ermuti­gen, mehr Risiko einzugehen und die An­zahl der Siege erhöhen. Zumindest in Ös­terreich gelingt das nicht: Der Anteil an Unentschieden bleibt quasi unverändert.

Das Spiel ändert sich im Laufe der Jahre trotzdem stark. „Früher hast du gewisse Spielertypen mit einer herausragenden Fä­higkeit gehabt“, erinnert sich LASK-Vizepräsident Jürgen Werner, „ich war zu mei­ner aktiven Zeit der Techniker, Andi Ogris war blitzschnell und Toni Polster hat die Tore gemacht. Heute haben die Jungs al­les.“ Große Fortschritte gibt es auch in den Bereichen Dynamik und Schnelligkeit. „Die Spieler heute sind richtige Athleten, das ist alles eine Stufe professioneller. Da hat sich in allen Sportarten in den letzten 25 Jahren sehr viel getan“, sagt Werner.

DIE LIGA GEHT LIVE

In der zweiten Saison nach der Rück­kehr zur Zehnerliga steigen die Zuschau­erzahlen um rund 50 Prozent an, der Schnitt fällt bis zum Ende des Jahrzehnts nie mehr unter die 6.000er-Marke. Das ge­stiegene Interesse zieht neue Sponsoren an - und lässt die Liga und ihre bestehenden Partner neue Wege beschreiten.

„Es hat zuvor über Jahrzehnte die Be­fürchtung gegeben, dass die Leute nicht mehr ins Stadion gehen, wenn Spiele live im Fernsehen gezeigt werden“, sagt Nachbagauer, „dass das auch Werbung für den Fußball ist, hat man lange Zeit nicht er­kannt.“ In der Bundesliga ändert sich das am 2. April 1995. Knapp eine Million Menschen sitzen beim ersten TV-Livespiel vor dem Fernseher und sehen ein 3:0 von Salzburg über die Wiener Austria.

Die TV-Rechte sind zu diesem Zeit­punkt noch fest in ORF-Hand und bringen der Liga zu Beginn der 90er 13,5 Millio­nen Schilling (knapp eine Million Euro) pro Saison. Nach Hans Reitingers Motto „Der Fußball braucht das Fernsehen - und das Fernsehen braucht den Fußball“ ent­wickelt man die Partnerschaft Schritt für Schritt weiter, große Sprünge bei den Erlö­sen sind so aber nicht zu machen. „Wir ha­ben in unseren Arbeitsgruppen mit den Klubs damals oft über die Grenzen ge­schaut, wie die Situation in anderen Ligen ist. Da wurde klar, dass wir auch im TV-Bereich schauen müssen, dass wir nicht mehr nur vom ORF abhängig sein dür­fen“, sagt Nachbagauer über die damalige Situation.

1996 läuft der TV-Vertrag mit dem ORF aus, mit der deutschen Vermark­tungsgesellschaft ISPR tritt erstmals eine ernstzunehmende Alternative zum öffent­lich-rechtlichen Rundfunk auf. Die Agen­tur bietet 100 Millionen Schilling (7,27 Millionen Euro) pro Saison und liegt da­mit weit über dem Angebot des heimischen Rundfunks. ORF-Befürworter Reitinger wird in die letzte Angebotsrunde mit den Deutschen nicht mehr einbezogen. Er tritt aus Enttäuschung über diese Vorgangs­weise noch in der Spielausschuss-Sitzung als Präsident zurück und verlässt den Raum. So endet die Ära Reitinger nach 22 Jahren an der Bundesliga-Spitze mit einem Eklat.

Die ISPR bekommt die Rechte und ver­kauft sie an den ORF, SAT.1 (das nach einem Jahr wieder aussteigt) und den Pay- TV-Sender DF1 weiter. Erstmals gibt es ein Livespiel pro Runde. DF1 wird später zu Premiere, dem Vorläufer des heutigen TV-Partners Sky.

Das vakante Präsidentenamt wird von Vizepräsident Gerhard Skoff übernom­men, nachdem Rudi Quehenbergers Kan­didatur daran scheitert, dass es zu diesem Zeitpunkt noch nicht erlaubt ist, gleichzei­tig Klub- und Liga-Präsident zu sein. Ein Jahr nach seiner Wahl kann Skoff mit dem Mobilfunkanbieter max.mobil den ersten Bewerbssponsor präsentieren: die Liga heißt ab sofort max.Bundesliga und geht mit einem neuen Logo an den Start.

Bundesliga-Präsident Gerhard Skoff, max.mobil-Geschäftsführer Friedrich Radinger und Salzburg-Präsident Rudi Quehenberger

ZU VISIONÄR

Die Strukturen der Klubs sind zu diesem Zeitpunkt zunehmend professioneller ge­worden. Die großen Entscheidungen wer­den in der Regel zwar weiterhin von den Präsidenten getroffen, das Tagesgeschäft leiten aber mittlerweile hauptberufliche Manager. Einige davon - darunter Rapids Werner Kuhn, Austrias Werner Hebens­treit oder Jürgen Werner vom FC Linz - haben sich mit Bundesliga-Mitarbeitern und dem Management-Unternehmen Contrast Gedanken um die Zukunft der Liga gemacht. „Ich habe zum Ende meiner Karriere in Los Angeles gespielt und hatte das Glück, dass ich dort im Marketing der L.A. Lakers ein- und ausgehen konnte“, erzählt Jürgen Werner. „Dort habe ich die  Vermarktungsmaschinerie der NBA ken­nengelernt und war tief beeindruckt, wie diese Liga als Gesamtprodukt arbeitet. Diese Erfahrungen habe ich in die Strate­gierunde der Bundesliga mitgenommen.“

Werner und seine Kollegen präsentieren im September 1996 ein 121 Seiten starkes Konzept zur weiteren Professionalisierung der Liga. Das „Bundesliga 2000“ ge­nannte Konzept beinhaltet moderne Sta­dien, zentrale Marketingaktivitäten und eine Liga-Zusammensetzung aus regio­nal-wirtschaftlichen Gesichtspunkten - sprich ein Klub pro Bundesland und zwei aus Wien, wie es ursprünglich auch bei der Gründung der Bundesliga 1974 vorgese­hen war. „Im österreichischen Fußball hat es noch nie zuvor so fundierte Entschei­dungsgrundlagen gegeben“, sagt Nachbagauer, „deshalb waren wir absolut über­zeugt davon, dass wir richtig liegen und sind vielleicht ein wenig zu blauäugig in die Diskussion reingegangen.“

Und Diskussionen gibt es nach der Prä­sentation des Konzepts jede Menge. Der Knackpunkt des Konzepts ist nämlich, dass der Profi- vom Amateursport entkop­pelt werden soll. Die höchste Spielklasse soll nach amerikanischem Modell zur ge­schlossenen Gesellschaft werden, sportli­cher Auf- und Abstieg sind grundsätzlich nicht vorgesehen. Es werden zwar Mög­lichkeiten zur Aufstockung oder Relega­tionsspiele skizziert, diese gehen in der öf­fentlichen Diskussion aber völlig unter. Die Kritiker konzentrieren sich ganz auf das Drohgespenst „Geschlossene Liga“, was dazu führt, dass das Konzept von Be­ginn an scharfem Gegenwind ausgesetzt ist. „Wir haben wahrscheinlich den Fehler gemacht, dass wir nicht einige relevante Journalisten vorab in unsere Überlegun­gen einbezogen haben“, sagt Werner. Bun­desliga-Präsident Skoff beschreibt den Weg zur geschlossenen Liga schließlich mit den Worten „Nur über meine Leiche“, damit ist das Thema dann auch erledigt.

In den kommenden Jahren werden den­noch einzelne Maßnahmen in die Arbeit der Liga und die Lizenzierung integriert. „Das zeigt, dass wir großteils richtig gele­gen sind. Das Tragische an der Geschichte ist, dass wir damals die Möglichkeit ge­habt hätten, einen großen Schritt in die Zukunft zu machen. Damit wären wir unserer Zeit zehn Jahre voraus gewesen“, sagt Nachbagauer. Auch Jürgen Werner ist knapp 25 Jahre später immer noch überzeugt, dass in diesem Konzept „viele gescheite Dinge“ standen: „Es ging ja nicht nur um eine geschlossene Liga, son­dern um die Strukturen insgesamt, des­halb ist es gut, dass im Laufe der Jahre vie­les umgesetzt wurde.“

STRONACHS KÜR AM FASCHINGSSONNTAG

Zwei Jahre später weht schon wieder nordamerikanischer Wind durch die Liga: Am 23.11.1998 präsentiert der nach Ka­nada ausgewanderte Milliardär Frank Stronach den Klub-Präsidenten seine „Perspektiven für unsere Österreichische Fußball-Bundesliga“. Anders als sieben Jahre zuvor trifft man sich dieses Mal nicht beim Heurigen, sondern im Cong­ress Center im Casino Baden. Begleitet wird Stronach unter anderem von seinem jungen Mitarbeiter Karl-Heinz Grasser, dem späteren Finanzminister. Dieses Mal riecht es nach Sekt, nach Lachsbrötchen - und ein bisschen nach schnellem Geld.

Denn Stronach hat Gefallen am Fußball gefunden und will nach seiner Tätigkeit bei der Austria sein Geld nun auf die ganze Liga verteilen. „Im Prinzip ist die Vorstellung damals so gelaufen, dass gesagt wurde: Das ist der Frank und der will jedem von euch zehn Millionen Schilling geben“, erinnert sich Peter Rietzler. Der heutige LAOLA1-Chefredakteur war damals Bundesliga-Pressesprecher.

Stronach ist an den exklusiven TV- und Wettrechten der Liga interessiert und plant, einen eigenen Fernsehsender zu gründen. Für die Klubs ist das interes­sant, die TV-Rechte sind aber noch bis 2004 an die ISPR verkauft. Nachdem eine zentrale Lösung scheitert, schließen die meisten Klubs individuelle Verträge mit einer Tochterfirma von Stronachs Magna-Konzern ab. Die nächste Präsidenten­wahl findet am Faschingssonntag im Feb­ruar 1999 in der Grazer Burg statt. Sie wird zur Krönung: Stronach ist der einzi­ge Kandidat und erhält 65 von 70 anwe­senden Stimmen.

DER WEG INS NEUE JAHRTAUSEND

Mit Stronachs Wahl zum Präsidenten soll die Liga zum Unternehmen werden, die Struktur wird umgebaut: Der bisherige Ligasekretär Reinhard Nachbagauer wird der erste hauptberufliche Vorstand und führt eine knapp zehnköpfige Geschäfts­stelle an, die ehrenamtlichen Funktionäre sollen ab sofort als Aufsichtsrat fungieren.

„Das Problem dabei war nur, dass das mit den damaligen Persönlichkeiten nicht zu machen war, die waren noch viel zu stark daran interessiert, operativ einzu­greifen und alles zu entscheiden“, sagt Rietzler. „Wer will schon gerne freiwillig auf Ein­flussmöglichkeiten verzichten?“ sieht es Reinhard Nachbagauer heute pragmatisch. „Wenn man es über zehn oder 15 Jahre ge­wohnt war, alles zu entscheiden, dann tut
man sich natürlich etwas schwer damit, Macht abzugeben, das ist ganz normal.“

Das erste Jahr von Stronachs Präsident­schaft sorgt für jede Menge Schlagzeilen, Rietzler bezeichnet es als „großes Holladrio“. Stronach liefert sich mediale Schar­mützel mit ÖFB-Präsident Beppo Mau­hart, präsentiert seine Ideen für die Nach­wuchsarbeit in Österreich, droht schon im ersten Jahr seiner Präsidentschaft mit Rücktritt, wird aber zum Weitermachen überredet. „Stronachs Pläne waren gut für Schlagzeilen, aber im Detail oft zu wenig konkret, um sie auch umsetzen zu kön­nen“, sagt Reinhard Nachbagauer. Dazu gibt es eine langandauernde Diskussion, ob das Investment bei mehreren Klubs gleichzeitig überhaupt zulässig ist. Die Verträge werden schließlich wieder aufge­löst, einige Klubs müssen im Gegenzug Transferrechte an Stronachs Firma abtre­ten. Etwas später werden die Pläne für einen TV-Kanal ad acta gelegt und Stronach konzentriert seine Sponsoraktivitä­ten wieder ganz auf die Wiener Austria.

Der ehemalige Bundesliga-Pressespre­cher Peter Rietzler sieht die manchmal turbulenten 90er-Jahre rückblickend trotzdem als Grundstein für spätere Ent­wicklungen: „Viele von den modernen Strukturen, in denen heute gearbeitet und entschieden wird, wurden damals zum ers­ten Mal eingeführt. Wahrscheinlich waren wir einfach ein bisschen zu früh dran.“

Dieser Artikel ist in der 90er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo

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