2000er-Journal: Das Jahrzehnt der Abwechslung

3. December 2021 in ADMIRAL Bundesliga

Fünf verschiedene Meister brachten die Nullerjahre hervor: Red Bull Salzburg, Tirol, der GAK sowie Austria und Rapid schrieben ein außergewöhnlich abwechslungsreiches Jahrzehnt in die Geschichtsbücher. Ein Streifzug durch prickelnde Duelle, bizarre (Handball-)Tore und nächtelange Spieler-Absenzen.

TEXT: MICHAEL FALLY, FOTOS: GEPA PICTURES

Robert Wazinger muss in seinem Leben zumindest zehn Nächte lang abgängig gewesen sein. Das spuckt der Taschenrechner aus, wenn man die von seinem Ex-Kollegen Walter Kogler postulierte Schlussrechnung durch seine Algorithmen jagt. Kogler, mit dem FC Tirol dreimal Meister, erinnert sich launig: „Der Wazinger Robert war sensationell. Der ist bei Meisterfeiern oft zwei, drei Nächte lang nicht nach Hause gekommen.“ Fünfmal wurde Wazinger mit den Innsbruckern Meister– ergibt insgesamt zumindest zehn Nächte der Absenz.

SCHWUNG MITGENOMMEN

In der Tat war der FC Tirol um den Jahrtausendwechsel das Maß aller rot-weiß-roten Fußball-Dinge. Gleichsam den Schwung aus der meisterlichen Saison 1999/2000 mitnehmend, fixierten die Innsbrucker im Spieljahr 2000/01 die Meisterschaft schon eine Runde vor Schluss. Während der schärfste Konkurrent Rapid am 35. Spieltag beim 0:0 daheim gegen Salzburg Punkte und damit die letzte Titelchance liegen ließ, schossen Roli Kirchler (45.) und Patrik Jezek (80.) die Tiroler zum Heimsieg gegen Sturm Graz und zum zweiten Titel in Serie. Allerspätestens jetzt war der Beweis erbracht, dass auch ältere Eisen sehr wertvoll sein könnten. „Man hat Tirol oft ja nicht ganz ernst genommen, auch weil die Mannschaft schon sehr reif war“, sagt Kogler. „Auch ich war ja weit über 30, als ich zu Tirol gekommen bin. Die Mannschaft hat aber super funktioniert.“

DOMINANZ  AUSGEBAUT

Und zwar auch gleich in der darauffolgenden Saison. Der Trainer war neu – Kurt Jara wurde vom späteren Weltmeister-Trainer Jogi Löw beerbt –, die Dominanz blieb die alte. Nein, sie wuchs sich geradezu ins Monströse aus. Gab es in den beiden Jahren davor mit Sturm und dann Rapid noch (halbwegs) ernste Gegner, mutierte die Saison 2001/02 weitgehend zum Tiroler Solo. Schon fünf (!) Runden vor Schluss stand die Löw-Truppe als Meister fest – Verfolger Sturm wies da schon einen tabellarischen Rückstand von uneinholbaren 16 Punkten auf.

VIOLETTES SOLO

In der darauffolgenden Saison war es mit der Tiroler Herrlichkeit (auch finanziell) vorbei. Ein anderer Klub schwang sich empor, um ein noch beeindruckenderes Solo zur Meisterschaft hinzulegen. Komplikationslos ging aber auch die erste Meistersaison der Wiener Austria in der Stronach-Ära nicht über die Bühne. „Wir waren alle sehr überrascht, zumal wir wirklich guten Fußball gespielt haben und auch in der Tabelle ganz oben standen. Und plötzlich reißt man der Mannschaft zumindest einen Teil der Seele heraus“, erinnert sich der damalige Spieler Thomas Flögel. Gemeint ist natürlich die Trainer-Rochade: Walter Schachner weg, Christoph Daum her. Big Spender Stronach wollte schließlich „nicht mit den Hühnern pecken“. Also führte Daum Flögel und Co. zum Titel – mit dem überragenden Punktevorsprung von 13 Zählern auf „Verfolger“ GAK.

DER GAK-COUP

Dessen großer Auftritt– und vor allem jener von Trainer Walter Schachner – folgte 2003/04. Die Austria, dank Stronach weiter Millionen-schwer, bewaffnete sich mit Löw statt Daum an der Outlinie und war bereit, das nächste violette Solo hinzulegen. Aber das von Schachner geformte Sensationsteam des GAK rund um Kollmann, Ehmann, Tokic, Ramusch, Bazina, Aufhauser, Sionko und Co. sollte etwas dagegen haben, einen riesigen Coup landen und den Titel holen.

Wegweisend dabei: der 32. Spieltag. In Favoriten empfing Tabellenführer Austria den Zweitplatzierten GAK – und erlebte sein rotes Wunder. Die entsprechend gefärbten „Teufel“ siegten dank Toren von Bazina (32.), Kollmann (56.) und Amerhauser (79.) mit 3:1. Sigurd Rushfeldts Ehrentor für Violett in der 89. Minute brachte nichts mehr ein. Der GAK übernahm die Tabellenführung, gab sie bis zum Schluss nicht mehr her und feierte den ersten Meistertitel der Klubgeschichte.

RAPID OBENAUF

„Andere kaufen Stars, Hicke macht Stars“, jauchzte Rapid-Präsident Rudolf Edlinger am 26. Mai 2005 ins Stadion-Mikro des Ernst-Happel-Ovals. Die Hütteldorfer hatten am 35. Spieltag vor ausverkauftem Haus gerade das Wiener Derby mit 0:1 verloren. Weil der Meistertitel ihnen aber schon vor dem Spiel sicher und es das letzte Heimspiel der Saison war, wurde ans Derby gleich die Tellerübergabe samt Party (bei kaum getrübter Stimmung) angehängt. Josef Hickersberger hatte es mit Rapid dem finanziell übermächtigen Gegner aus Favoriten gezeigt und den 31. Meistertitel der Klubgeschichte fixiert.

In Sachen Dramatik konnte die Saison mit dem Vorjahr 03/04 locker mithalten. Erst recht dank des Anfang Mai ausgetragenen Nachtragsspiels der 22. Runde. Rapid gastierte in der Südstadt bei der Admira. Die 92. Spielminute, es steht 0:0. Andi Ivanschitz zirkelt einen Freistoß von halbrechts in den 16er, dort ist Ferdinand Feldhofer zur Stelle – mit welchem Körperteil genau, ist bis heute nicht letztgültig dechiffriert – und bugsiert den Ball über die Linie. Ganz Rapid flippt aus, Hicke kann sein Glück an der Outlinie nicht glauben, sagt nachher auf die Frage, ob bei Feldhofer die Hand im Spiel war: „Das interessiert mich nicht.“ Dass er zwei Wochen später Meister war, hingegen schon.

STÖGER/SCHINKELS STARTEN DURCH

Mit dem Titelkampf hatte Rapid im Jahr darauf nichts zu tun. Viel eher wanderte der Teller innerhalb Wiens weiter in den Süden, wo in Favoriten das Duo Peter Stöger / Frenkie Schinkels die Austria ganz nach oben manövrierte. „Da ist er“, krächzte der siegestrunkene Schinkels ins „Premiere“-Mikrofon, während er seinen Kompagnon Stöger live auf Sendung herzhaft und Sekt-getränkt umarmte: „Er hat mir das Vertrauen gegeben, und wir haben es geschafft. Es ist der schönste Tag in meinem Leben.“ Die Austria hatte Wacker Tirol eben mit 2:1 besiegt und damit die Schale in Favoriten festgezurrt. Konkurrent Salzburg, inzwischen schon mit dem Red-Bull-Emblem aktiv, konnte auf Respektabstand gehalten werden: Sechs Punkte betrug der Rückstand in der Abschlusstabelle.

Ein Jahr später war es aber vorbei mit der Salzburger Zurückhaltung. Unter dem namhaften Trainer-Duo Giovanni Trapattoni / Lothar Matthäus zertrampelten die Super-Bullen die Konkurrenz regelrecht. Die Kaderliste zierten damals Namen von (ehemals) wahrhaft internationalem Format. Auszug gefällig? Bitte sehr: Thomas Linke, Niko Kovac, Johan Vonlanthen, Alexander Zickler. Der – im Kontrast dazu – Aufstand der „Kleinen“ erfuhr in der Saison 2006/07 eben keine Krönung. Vielsagend belegten in der Endabrechnung Ried – mit unglaublichen 21 Punkten Rückstand – und Mattersburg (mit einem Punkt weniger) die Plätze zwei und drei.

Linke und Kovac waren im Jahr darauf schon weg aus Salzburg, Kapazunder wie Zickler und Marc Janko aber sehr wohl mittendrin, als am Ostersonntag 2008 Fußball-Historisches passierte. Rapid überrollte die Salzburger Bullen gnadenlos und legte mit dem ikonischen 7:0-Auswärtssieg den Grundstein zum Meistertitel unter Trainer Peter Pacult. Rapid fixierte mit einem 3:0-Heimsieg im Hanappi-Stadion den zweiten Teller in den 2000er-Jahren, ehe in den letzten beiden Jahren der Nuller-Ära wieder Salzburg an der Reihe war.

DRAMA 2010

Ging es in der Saison 2008/09 noch verhältnismäßig klar zur Sache – Vizemeister Rapid lag am Ende vier Punkte zurück –, mutierte das Saisonfinale 2009/10 zum regelrechten Krimi. Vor dem letzten Spieltag konnten mit Salzburg, der Wiener Austria und Rapid noch drei Mannschaften Meister werden. Die Bundesliga stand vor einer logistischen Challenge – und reagierte pragmatisch. Zwei Meisterteller waren bereit: einer in Wien für den Fall, dass die Austria nach dem Spiel gegen Ried Meister ist; einer in Graz für den (wahrscheinlicheren) Fall, dass die Bullen ebendort alles klarmachten. Zudem stand eine Polizeieskorte bereit, die im Falle eines Rapid-Titels den Teller aus Favoriten rechtzeitig zu den Feierlichkeiten ins Mattersburger Pappelstadion bringen würde.

Tatsächlich gewannen alle drei Kandidaten – und somit auch die Bullen. Roman Wallner brauchte allerdings ein paar Augenblicke, bis er realisierte, dass sein suboptimal geschossener Freistoß tatsächlich im Netz landete und er soeben das 2:0 erzielt hatte, nachdem Simon Cziommer kurz zuvor auf 1:0 gestellt hatte. Bullen-Dompteur Huub Stevens notierte (was auch immer) fleißig. Seine legendäre „kontrollierte Offensive“ hatte den Salzburger Bullen zum dritten Mal die Krone aufgesetzt. Mitten in den Feierlichkeiten: Goalie Eddie Gustafsson, dessen Schienbein etwa einen Monat davor im Match gegen den LASK fast in zwei Teile getreten worden war. In der meisterlichen Euphorie aber schienen die Verletzungssorgen vergessen.

Dieser Artikel ist in der 2000er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo

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