„Was für ein Kasperltheater"

8. August 2023 in ADMIRAL Bundesliga

Jahrhundert-Austrianer Herbert Prohaska schaffte in den 70er-Jahren den Aufstieg zu einem der gefragtesten Spieler Europas. Im Bundesliga-Journal erzählt er, warum er Rapid einen Korb gab, wie er seinen ersten Meistertitel feierte und was er Teamchef Senekowitsch nach dem „Spitz von Izmir“ ins Ohr sagte.

 

1971: Die SPÖ gewinnt unter Bruno Kreisky bei den Wahlen zum Nationalrat die absolute Mehrheit...

...und Herbert Prohaska genießt die schönste Zeit seines Fußballerlebens. „Na klar“, entgegnet er der verwunderten Nachfrage. „Wir haben trainiert, gespielt und dabei Spaß gehabt. Keine Trainingslager, kein Druck. Das Unbeschwerte, das war schon toll.“ Mit seinem Klub Ostbahn XI ging es für den damals 16-Jährigen um den Aufstieg in die Landesliga, doch weil das Team von Verletzungen und Sperren gebeutelt war, sagte Trainer Rudolf „Cäsar“ Sabetzer zu den jungen Wilden: „Kinder, wir schreiben die Meisterschaft ab, seid nicht nervös, spielt frisch von der Leber weg.“ Prohaska: „Wir haben die letzten sechs Spiele alle gewonnen und den Aufstieg geschafft. Das hat zwar keinen Journalisten interessiert, aber wir waren total glücklich.“

1972: In München kommen beim Olympia-Attentat elf israelische Geiseln ums Leben...

...und Herbert Prohaska unterschreibt bei der Austria seinen ersten Profivertrag. Kein Selbstläufer, denn auch die Top- Teams von Innsbruck, Salzburg und Rapid waren an dem Supertalent dran. „Im Westen hätte ich das Doppelte verdient, aber dorthin wollte ich von Haus aus nicht“, erzählt Prohaska. „Weg von den Eltern, Freunden, der Freundin... Ich wusste, wenn ich dort nicht spiele, komme ich um.“ Blieb noch Rapid, doch die Verhandlungen erwiesen sich als Slapstick-Veranstaltung. „Der Trainer Ernst Hlozek meinte dreimal zu mir: 'Huach zu, Pauli!' Okay, das hätte ich ihm nachgesehen. 'Wir wissen, dass dich die Austria auch will. Wir zahlen keinen Schilling mehr als die. Und wenn du für uns spielen willst, komm auf die Pfarrwiese und sag Bescheid.' Ich dachte nur: Was für ein Kasperltheater!“ Süffisanter Nachsatz: „Aber vielleicht haben sie es im Nachhinein ja mal bereut.“ Die Austria dagegen machte von Beginn an Ernst, passte Prohaska nach jedem Spiel von Ostbahn XI ab und erkundigte sich nach dem Befinden. „Sie hatten gerade ihren Sponsor verloren und wenig Geld, dazu viele Stammspieler abgegeben. Was neu dazu kam, hat nix gekostet. Ich dachte: Endlich bei einem großen Verein! In mein erstes Trikot bin ich geschlüpft wie in das Goldene Vlies.“

1973: In den USA steuert die Watergate- Affäre auf ihren Höhepunkt zu...

...und Herbert Prohaska erlebt den ersten Trainerwechsel seiner Profi-Karriere – und gleich den kuriosesten. „Karl Stotz machte die komplette Wintervorbereitung, unser erstes Spiel führte uns zum Top-Favoriten nach Innsbruck. Wir hielten gut mit, verloren unglücklich 1:2. Und hören bei der Heimfahrt im Bus in den Sportnachrichten, dass Stotz gefeuert wurde. Und ich glaube, er selbst hat es auch erst in diesem Moment erfahren. Unglaublich!“ Nachfolger wurde ein gewisser Bela Guttmann, Europacupsieger mit Benfica Lissabon und Ex-Trainer von Klubs wie AC Milan oder FC Sao Paulo. Aber mit 74 Jahren auch schon über seinem Zenit. „Er hat zu mir gesagt: 'Schauen Sie, Prohaska. Haben sie mich auf der ganzen Welt rausgeschmissen. Aber beim nächsten Verein habe ich immer mehr bekommen als beim vorigen.' Die Anekdote passt zu seiner Ära. Großes Flair, aber wenig Erfolg.“

1974: Muhammad Ali und George Foreman matchen sich in Zaire beim „Rumble in the Jungle“...

...und Herbert Prohaska feiert mit dem Cupsieg seinen ersten Titel mit der Austria. Und nicht nur das: In beiden Finalspielen sorgte „Schneckerl“ mit Kopfballtoren (!) höchstselbst für die Entscheidung. „Beim Hinspiel hat mein Gegenspieler Filzmoser gewütet, hat einig'haut, war frech. Beim Rückspiel wollte er mir die Hand geben. Darauf ich: Na na, Filzpatschen! Heute kriegst alles retour.“ Und so kam es. „Filzmoser wollte sich auswechseln lassen, der Trainer schrie nur: 'Beiß die Zähne zusammen.' Und ausgerechnet er war es, der bei einer Flanke neben der Stange stand und meinen Kopfball ins Tor ablenkte. Mein erster Titel mit der Austria, ein unbeschreibliches Gefühl. Von da an ging es mit uns kontinuierlich aufwärts.“

1975: Der Vietnam-Krieg geht mit einer verheerenden Niederlage der US-Armee zu Ende...

...und Herbert Prohaska gewinnt erstmals die Wahl zum „Krone Fußballer des Jahres.“ „Für mich war das damals überragend“, erzählt Prohaska. Und fügt lachend hinzu: „Auch wenn mich in erster Linie meine Familie zum Sieger gemacht hat. Und Präsident Leopold Böhm hat zu unserem Masseur gesagt: „Hier hast du genug Geld, kauf alle Kronenzeitungen auf und schau, dass für den Herbert gevotet wird.“ Und trotzdem ist es erstaunlich, dass der Edelzangler nach nur drei Jahren als Profi schon so ein Standing in der Bevölkerung hatte. Was auch daran lag, dass Prohaska bereits mit 19 Jahren im Nationalteam debütierte. „Die Presse hat zu der Zeit immer gut über mich geschrieben und wollte, dass ich ins Team einberufen werde. Vor meinem ersten Länderspiel hatten wir ein Match in Salzburg, ich war richtig schlecht. Und die Zeitungen lobten: 'Prohaska wieder super!' Ich dachte nur: Bei welchem Spiel waren die eigentlich?“ Nach dem Erfolg bei der Wahl fühlte sich Prohaska jedenfalls „wie der beste Spieler aller Zeiten“.

1976: Die Kultband ABBA veröffentlicht ihre Single „Dancing Queen“...veröffentlicht ihre Single „Dancing Queen“...

...und Herbert Prohaska holt mit der Austria erstmals die österreichische Meisterschaft. „In dem Jahr war es für mich zum ersten Mal so, wie ich es mir schon bei meinem Wechsel 1972 vorgestellt hatte: Wir hatten eine Mannschaft, von der wir wussten, dass wir Innsbruck Paroli bieten und um den Titel spielen können.“ Am Ende waren es sieben Punkte Vorsprung, bei der Zwei-Punkte-Regel eine eindeutige Geschichte. Doch nicht nur der Weg zum ersten Titel der Violetten seit 1970 hat sich für immer bei ihm ins Gehirn gebrannt, auch die Feierlichkeiten danach hatten es in sich. „Präsident Böhm hat die ganze Mannschaft nach Paris eingeladen. Vom Crazy Horse bis Lido war alles dabei. Als wir allerdings in einem piekfeinen Fünf- Sterne-Lokal Hummer essen sollten, haben wir uns alle nur ratlos angeschaut. Ein Traum!“ Was Prohaska heute noch Leid tut: „Für’s Jahr danach hat Böhm versprochen, uns nach Las Vegas zu schicken, wenn wir das Double holen. Ich könnte mich heute noch ärgern, dass es nur zum Cupsieg gereicht hat.“

1977: Dem Boxer-Drama „Rocky“ wird in Los Angeles der Oscar verliehen...

...und Herbert Prohaska gelingt mit dem „Spitz von Izmir“ sein berühmtestes Tor im ÖFB-Dress, das Österreich zur WM nach Argentinien brachte. Und das, obwohl er zu dem Zeitpunkt gar nicht Stammspieler unter Trainer Helmut Senekowitsch war. „Ich hätte in Izmir nicht gespielt, wenn Pepi Hickersberger nicht vorher eine Blinddarm-OP gehabt hätte.“ Zur Legende des Tores gehört auch, dass Senekowitsch eine Erfolgsprämie von 500.000 Schilling hatte, falls er das Team zur WM 1978 führt. „Bei der Umarmung hab ich ihm ins Ohr gesagt: „Jetzt hab ich dir eine halbe Million ins Sackl geschossen – wehe, wenn du mich noch einmal nicht aufstellst. Seitdem war ich Stammspieler.“ Das Tor machte Prohaska zu einer international bekannten Figur und war einer der Türöffner für den späteren Auslands-Transfer.

1978: Johannes Paul II. Wird beim Konklave in Rom zum neuen Papst gewählt...

Austria sensationell ins Finale des Europacups der Cupsieger ein. Mit einer magischen Mannschaft, die vor Offensivgeist nur so strotzte und der man die Zeit gab, über viele Jahre zusammenzuwachsen. Doch der vermeintlich größte Erfolg sollte zur größten Enttäuschung werden. „Die Leute sagen oft: Herbert, das 0:9 in Spanien war deine schlimmste Niederlage. Nein, sage ich, es war die mit Abstand peinlichste. Aber das 0:4 gegen Anderlecht in Paris hat zehnmal mehr weh getan.“ Die Hauptprobleme waren die offensive Ausrichtung gegen eine der stärksten Kontermannschaften Europas und die Einstellung, mit dem Finaleinzug bereits alles erreicht zu haben. „Wir dachten: Egal, wie es ausgeht, super, dass wir im Finale sind. Das war völlig falsch! Wir hatten dadurch nicht den 100prozentigen Biss. Nachher waren wir am Boden zerstört.“

1979: Die Firma Sony bringt den weltweit ersten Walkman auf den Markt...

...und Herbert Prohaska dämmert, dass er die Austria nach acht erfolgreichen Jahren bald Richtung Ausland verlassen wird. „Ich selbst habe überhaupt keinen Transfer angestrebt“, gibt er zu. „Ich war gern zu Hause. Aber man kannte mich mittlerweile in Europa, es kamen diverse Angebote.“ Everton, Schalke, Barcelona (auf Drängen von Hans Krankl) – sie alle buhlten um den Star aus Simmering. Auch Tottenham, wo man gute Erfahrungen damit gemacht hat, die beiden damals erlaubten Legionärs- Positionen mit Spielern aus einem Land zu besetzen. Also wurde das Duo Prohaska / Ernst Baumeister zum Objekt der Begierde. Doch als Inter Mailand auf den Plan trat, war es um Prohaska geschehen. „Ich hab gesagt: Sorry, Ernstl, aber Italien hat für mich Priorität.“ Also verabschiedete sich Prohaska 1980 vorerst von seiner Austria, allerdings nicht ohne vorher noch das Double geholt zu haben. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich zu schonen, damit ich mich nicht verletze. Mein Herz gehörte der Austria, und ich wusste damals schon ganz genau, dass ich eines Tages zurückkomme.“

 

Fotos: GEPA pictures, Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

Redakteur: Markus Geisler
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