Baumeister & Grünwald im Generationen-Talk: „Klar war das Standfußball“

26. September 2023 in ADMIRAL Bundesliga

50 Jahre Bundesliga – eine Zeitspanne, in der das Spiel mit all seinen Facetten einer Revolution unterzogen wurde. Trainingsmethoden, Regeln, das Drumherum mit Social Media & Co. So gut wie nichts ist heute mehr so, wie es in den Kindertagen der Liga war. Wir baten daher zwei Austria-Legenden an einen Tisch, um im „Clash der Generationen“ einen Vergleich der Zeiten zu wagen. Ernst Baumeister (66) kickte seit Liga-Start 1974 bei den Violetten, wurde achtmal Meister und stürmte ins Europapokalfinale 1978. Alexander Grünwald war bis Sommer 2022 Kapitän der Veilchen, wurde einmal Meister und arbeitet heute im Marketing des Klubs.

 

Hat sich einer von euch beiden mal bei dem Gedanken ertappt, dass er lieber zu der Zeit des anderen Profi gewesen wäre?

Baumeister: Ganz ehrlich: Noch nie! Alles hat seine Zeit, ich trauere nichts nach. Heute ist es für Spieler leichter, weil sie sich selbst gehören, wenn der Vertrag ausgelaufen ist. Wir konnten nicht einfach so den Verein wechseln. Dafür standen wir früher weniger in der Öffentlichkeit, konnten privat etwas unternehmen, ohne dass gleich Fotos irgendwo aufgetaucht sind.

Grünwald: Das Drumherum hat sich wahnsinnig verändert. In den sozialen Netzwerken kann jeder seinen Senf dazugeben, man wird jede Woche beurteilt. Und fußballerisch: (lacht) Ich war nie für meine Schnelligkeit bekannt, vielleicht hätte ich mir damals leichter getan.

Wenn man TV-Bilder aus den 70er-Jahren sieht, erinnert es, böse gesagt, manchmal an Standfußball.

Grünwald: Puh, was soll ich jetzt sagen, Ernst? (grinst) So viele Bilder habe ich gar nicht gesehen. Der Fußball hat sich stark Richtung Dynamik und Tempo entwickelt, das Material wurde besser, die Plätze auch. Allein dadurch, dass der Rasen vor jedem Spiel bewässert wird, ist das Spiel automatisch schneller. Das gabs bei euch nicht, oder?

Baumeister: Nein. Außerdem ist der Fußball heute gar nicht dynamischer, die TV-Bilder laufen nur schneller (beide lachen). Spaß beiseite: Das mit dem Standfußball ist doch Tatsache, das kann man ruhig so sagen. Ich bin dennoch überzeugt: Die Fußballer, die früher gut waren, wären auch heute noch gut und umgekehrt. Die Bedingungen waren halt komplett anders. Wobei wir mit der Austria schon 1976 den anderen Klubs voraus waren und einen Athletik-Trainer hatten, der Laktatwerte ermittelt und die Belastung individuell gesteuert hat. Trotzdem ist heute alles viel wissenschaftlicher, was früher aus dem Bauch heraus geregelt wurde.

Ernst, du hast als Spieler bestimmt total gesund gelebt und nie über die Stränge geschlagen…

Baumeister: … selten! (grinst)

Aber könnte Ernst Baumeister mit seinem damaligen Lebenswandel heute in der Bundesliga spielen?

Baumeister: Schwer zu beurteilen. Über Ernährung hat sich zu unserer Zeit niemand Gedanken gemacht. Ich war ja lange genug Trainer, um zu wissen: Die Spieler leben heute viel bewusster, die brauchen auch keinen Aufpasser, weil sie selbst genau darauf achten, was sie essen und trinken. Wenn du dein Leben nicht danach ausrichtest, hast du heute kaum Chancen, nach oben zu kommen und musst anders leben als wir früher.

Grünwald: Speziell vor den Spielen ist man schon sehr streng und konsequent. Nach einem Match war auch schon mal ein Besuch bei McDonald’s drin. Wir nannten das immer „Brain Food“, um den Kopf dafür zu belohnen, dass man sich unter der Woche zurückgehalten hat. Da gab es auch mal ein Bier oder eine Cola nach den Spielen. Heute sieht ja auch jeder, wie es die Superstars machen, die posten ja gefühlt ihr ganzes Leben. Ich will gar nicht wissen, wie viele jetzt zuhause mit einer Blaulichtfilterbrille sitzen, weil Erling Haaland das macht.

Baumeister: Da hast du wohl recht!

Grünwald: Jeder kann sich heraussuchen, was er will, daher ist schon vieles professioneller geworden. Ich weiß gar nicht, ob zu deiner Zeit jeder Spieler Vollprofi war, wie es heute der Fall ist.

Baumeister: Als ich 1974 zur Austria kam, war das erst im Entstehen. In meinen ersten zwei Jahren habe ich noch gearbeitet, war bei Joschi Walter (Anm.: damals Präsident und Autohändler) angestellt und bin dreimal in der Woche für ein paar Stunden bei ihm in der Firma gewesen. Das ging bis etwa 1977, dann ist das reine Profitum so richtig entstanden. Ich rede aber jetzt von der Austria, die kleineren Vereine haben etwas länger gebraucht.

Grünwald: Das ist ein riesiger Unterschied. Das kann sich meine Generation gar nicht vorstellen. Wenn heute ein Klub von der 2. Liga in die Bundesliga aufsteigt, ist jeder Spieler Vollprofi.

Wurde früher härter trainiert?

Baumeister: Früher war das Training härter, was aber nicht mit sinnvoller gleichzusetzen ist. Bei uns gab es zwei Stunden lange Trainings, in denen es keine einzige Trinkpause gab. Es gab sogar Zeiten, da durftest du in der Halbzeit nichts trinken, weil es hieß: Das schwappt dich auf, dann kannst du nicht mehr rennen. Drei Jahre später kamen sie drauf, man soll möglichst viel trinken. Dann musste man den Becher leer trinken und konnte sich nachher wirklich nicht mehr bewegen. Man muss ehrlich sagen: Was wir früher gemacht haben, war teilweise Raubbau am eigenen Körper.

Hast du als Spieler schon bewegte Bilder zu sehen bekommen, um dich auf einen Gegner vorzubereiten?

Baumeister: Nein, überhaupt nicht.

Grünwald: Eine sehr wichtige Errungenschaft, die man auch nutzen sollte, wobei man es keinesfalls übertreiben darf. Es ist falsch, sich 50 Minuten auf einen Gegner vorzubereiten, man sollte vor allem Vertrauen ins eigene Spiel und den eigenen Plan haben. Aber als Hilfsmittel ist es top: Hat der Gegner wiederkehrende Muster, wie spielen sie ihre Standards, welche Schwächen kann man ausnutzen? Auch in der Halbzeit kann es helfen, den Matchplan zu adaptieren.

Baumeister: Alex sagt was ganz Wichtiges: Man darf es nicht übertreiben. Ich hatte Trainer, die haben vor dem Match eine Stunde lang geredet – da hört dir wirklich niemand mehr zu.

Wie hat sich der Umgang mit den Schiedsrichtern geändert? Ist der Eindruck falsch, dass es früher eine Spur lockerer war?

Baumeister: Der Umgang war aus meiner Sicht schon etwas anders. Klar, du wusstest genau, dass du bei dem einen Schiri nicht mal husten darfst, ohne Gelb zu bekommen. Aber ich erinnere mich an ein Spiel in Linz, das Johann Swoboda (2014 verstorbener Schiedsrichter) gepfiffen hat. Als ich zu ihm sagte: „Heast, was pfeifst denn du?“, drehte er sich um und meinte: „Und was hast du grad für einen oasch Pass gespielt?“ Da mussten wir beide lachen, dadurch entsteht Lockerheit, die ich heute etwas vermisse.

Grünwald: Dialoge dieser Art gibt es aber heute auch noch. Das ist wie im richtigen Leben, manche haben einen angenehmeren, andere einen distanzierteren Umgang. Ich habe nur ein Problem damit, wenn es respektlos wird, egal von welcher Seite. Ich würde jedenfalls nie Schiri werden wollen, weil du immer jemanden hast, der deine Entscheidung negativ beurteilt.

Baumeister: Ich finde, sie haben es heute auch schwerer als früher. Sie werden ständig überwacht, die vielen TV-Bilder zeigen sofort, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Und der VAR hat ihre Rolle nochmal verändert. Ich halte das für ein tolles Hilfsmittel, gerade bei knappen Abseitsentscheidungen, die kein Mensch mit freiem Auge sehen kann. Ich würde mir nur wünschen, dass es manchmal etwas schneller geht, bis eine Entscheidung gefallen ist.

Grünwald: Das liegt aber auch an dem zusätzlichen Druck, der durch den VAR entstanden ist. Die Leute sagen: Jetzt schaut er es sich draußen nochmal an, dann muss die Entscheidung aber auch passen. Das macht es nicht leicht.

Baumeister: Ich sage aber auch: Gott sei Dank gibt es nach wie vor Fehlentscheidungen, über die wir diskutieren können, weil das einfach zum Fußball dazugehört.

Grünwald: Ich bin überzeugt, dass es fairer geworden ist, weil es keine groben Fehlentscheidungen mehr gibt. In Relation zu 50 Jahren Bundesliga gibt es den VAR ja noch nicht so lang, da wird es noch die eine oder andere Optimierung geben. Ich finde es nur witzig, dass die Diskussionen kein bisschen weniger geworden sind.

 

Im nächsten Teil des Interviews dreht sich alles um Regeländerungen, Fans und die damaligen Vertragssituationen. Den zweiten Teil findet ihr hier:

 

Fotos: Gepa pictures, Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

Redakteur: Markus Geisler
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