Marvin Martins zur Austria-Krise: „Werden aus dem Loch rauskommen!“

29. September 2023 in ADMIRAL Bundesliga Der Rechtsverteidiger über die bitteren Pleiten, die Dreierkette, fehlende Cleverness, seine unfreiwillige Martial Arts Einlage, das Wiener Derby, Luxemburgs sensationelle Entwicklung und seinen ukrainischen Ex-Klub.

Ein Loch hat der neue Austria-Zahnarzt kurz vor unserem Interview zwar keines bei Marvin Martins entdeckt – in einem solchen steckt aber der Verein des 28-Jährigen. Wäre die Austria Abwehr ein Gebiss bräuchte sie wohl eine Generalüberholung, so groß waren die Lücken, die da teilweise klafften. Was ist schuld an der Krise? Ist das System der Austria zu riskant? Was muss man nun schleunigst besser machen? Und wie könnte ausgerechnet das Derby am Sonntag (17 Uhr, siehe Spielplan) dabei helfen? Das und warum Martins mit seinem Luxemburger Nationalteam eine Sternstunde gelingen könnte, haben wir den Verteidiger in unserer Serie „11 Fragen an“ gefragt.

1. Die Austria steckt in der Krise. Wie sehr hat man sich diese Saison bis jetzt unter Wert geschlagen?

Sehr. Wir hatten es am Anfang nicht leicht mit den europäischen Spielen und den drei besten Mannschaften in den ersten 5 Wochen. Jetzt hatten wir auch Gegner, wo wir die Favoriten waren, es hat leider nicht so funktioniert wie erhofft. Es ist schon negativ. Ich bin aber überzeugt, dass wir wieder ein Erfolgserlebnis haben und aus dem Loch rauskommen. Mit diesen Gegentoren können wir wirklich nicht zufrieden sein. Gegen Klagenfurt oder Hartberg haben wir schon dominiert – da nur einen Punkt zu holen, ist schon bitter. Wir sind in einem Loch, dann passieren solche Sachen.

Wir müssen schauen, dass wir konsequent, konzentriert weiterspielen und auch mal dreckige Siege einfahren.

2. Viele Fans meinen, das System mit der Dreierkette ist schuld. Was sagst du?

Nein, weil letzte Saison als der Trainer gekommen ist, hat das System auch gut funktioniert. Da haben wir auch Siege geholt. Auch bei den Spielen gegen Banja Luka oder auswärts gegen Legia Warschau haben wir damit sehr gut gespielt. Ich bin fest überzeugt, dass es nicht am System liegt.

3. Riskiert man vielleicht zu viel?

Nein, wenn man so ein System spielt, muss alles gut laufen und jeder Spieler das Maximum geben – da muss jeder immer bei Duellen da sein. Wenn ein Spieler seine verliert und nicht macht, was zu tun ist, dann geht es schnell nach hinten. Natürlich ist es auch ein gewisses Risiko, dass wir viel Pressing spielen. Wir agieren da im Moment etwas unglücklich, das sieht man auch an den Gegentoren der letzten Spiele. Das ist schon bitter.

4. War das Spiel gegen Legia eine der bittersten Niederlagen deiner Karriere? So oft seid ihr zurückgekommen und dann doch wieder ins offene Messer gelaufen.

Ja. Ich denke, da hat es auch mit den schlechten Ergebnissen begonnen. Wenn du zuerst 2:1 auswärts bei einer Topmannschaft bei so einer Kulisse gewinnst, das war schon stark von uns. Die haben ja jetzt auch Aston Villa 3:2 geschlagen, das sind keine Blinden. Dass wir das zuhause nicht positiv beenden, war schon bitter. Wenn man sieht, wie oft wir zurückgekommen sind. Nach dem 2:3 hatte ich das Gefühl wir kommen weiter – und dannd as. Das war für die ganze Mannschaft mental ein Schlag auf den Kopf. Jetzt liegt es an uns, es bei den nächsten Spielen wieder in die positive Richtung zu lenken.

5. Hat euch bei vielen Niederlagen heuer einfach die Cleverness gefehlt? Ihr habt euch ja mehrmals quasi selbst geschlagen.

Ja, in manchen Momenten muss du schon cleverer und reifer sein. Gegen Legia vor allem. Wenn du es gut verteidigst bist du weiter. Das hat uns gefehlt. Reifer zu sein. Und dass wir, wenn wir ein Tor schießen, nicht gleich eins kassieren.  Wir müssen cleverer verteidigen und wissen, wann wir mal etwas tiefer stehen und das Spiel der anderen Mannschaft abwarten. Das würde uns sicher helfen. 90 Minuten Durchpressen, das macht keiner.

6. Bei den Schiedsrichtern hattet ihr auch eine Pechserie, oder?

Ich bin keiner, der viel über Schiris schimpft, aber wenn du schon in so einer Situation steckst, ärgert dich sowasnoch mehr. Gegen Altach war es schon bitter. Bei 3 Situationen kannst du anders entscheiden. Das kann man aber jetzt nicht mehr ändern.

7. Du hast im Cup eine Pause bekommen, bist jetzt sicher heiß auf das Derby. Du hast ja noch keines verloren. Kommt euch dieses Spiel gerade recht?

Ich glaube, es war auch wichtig, dass wir diese Woche im Cup auch ein Spiel gewonnen haben. Der letzte Sieg war schon lange her. Mit einem Spiel kannst du wirklich vieles retten und die Fans wieder auf eine positive Stimmung bringen. Es haben bei uns viele Spieler noch kein Derby verloren. Deshalb hoffe ich, dass das auch am Wochenende so weitergeht. Bei einem Derby ist die Motivation halt ganz groß. Jeder läuft für den anderen. Wir wollen die positive Serie beibehalten. Das ist unsere Stärke.

8. Deine Saison ist überhaupt recht verrückt. Mit deinem Drehkick-Ausschluss gegen Prass hast du ja, auch wenn es keine Absicht war, einem Bruce Lee alle Ehre gemacht. Frage mit Augenzwinkern: Wirst du nach der Karriere eine Kampfsport Karriere anpeilen?

Haha. Du wirst lachen, vor dem Fußball hatte ich tatsächlich überlegt, Boxer zu werden. Aber im Ernst: Das war natürlich nicht so gemeint und unabsichtlich. Ich hab mir nicht erwartet, dass Prass so schnell daherkommt. Dass er mich in den Interviews so verteidigt hat, war schon Klasse von ihm.

9. Ziemlich überraschend waren heuer auch deine Länderspiele. Ihr habt mit Luxemburg nach Liechtenstein auch Bosnien und Island besiegt. Trotz des 0:9 gegen Portugal, wo du nicht dabei warst, habt ihr eine gute Chance erstmals eine EM zu erreichen. Wäre das eine Sternstunde für euch?

Das wäre ein Wahnsinn. Der Sieg gegen Island war sehr wichtig. Wir hatten gegen Portugal zwar nicht geplant, dass wir gewinnen, aber so eine hohe Niederlage war schon bitter. Nach den nächsten Spielen gegen Island und Slowakei werden wir sehen, wo wir stehen. Letztes Jahr waren wir mit der Türkei in der Nations League in der Gruppe und auch nicht weit hinten. Wenn sie sich in ihrer Qualigruppe für die EM qualifizieren, hätten wir in den Playoffs auch noch eine zweite Chance. Wir haben uns wirklich großartig entwickelt. Vor acht Jahren hatten wir vielleicht 3, 4 Profis. Jetzt sind es alle und nur mehr einer spielt noch in Luxemburg.

10. Was ist für die positive Entwicklung in Luxemburg verantwortlich?

Sicher die sehr gute Jugendarbeit der letzten 10 Jahre. Bis zur U19 bist du zwei Tage in der Woche beim Verein und die restlichen 4 Tage bei der Nationalmannschaft. Auch Reinhold Breu, der unter Manfred Schmid bei der Austria Co-Trainer war, hat als Sportdirektor viel geholfen. Man sieht es auch bei unserer U17 und U19, da spielen viele in Deutschland. Mit Luc Holtz haben wir außerdem den längstdienenden Teamchef Europas, der macht es ja schon seit 13 Jahren und kennt jeden Spieler auswendig.

11. Letzte Frage. Du hast kurz vor dem Krieg auch ein Jahr bei Karpaty Lviv in der Ukraine gespielt. Verfolgst du daher die täglichen Nachrichten noch intensiver als andere?

Ja, weil ich auch noch ein paar Freunde und ehemalige Klubkollegen dort habe. Ich habe sie angerufen, als es eine Zeit besonders gefährlich war. Lviv oder Lemberg ist eine schöne Stadt mit super Leuten und Mitspielern. Das Niveau war top. Es sind jetzt hauptsächlich Ukrainer, die noch dort spielen, weil sich Ausländer nicht mehr so getraut haben. Die machen das Beste draus. Die Luxemburger, die dort gespielt haben, sind nach dem Kriegsausbruch gleich weggegangen – hatten auch etwas Schwierigkeiten rauszukommen. Sie mussten mit dem Auto nach Polen und sind von dort erst heimgeflogen.

 

Foto: GEPA pictures

Redakteur: Christoph König
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