2000er-Journal: Schokos Auferstehung

3. December 2021 in ADMIRAL Bundesliga

Nach seiner überraschenden Entlassung bei der Wiener Austria führte Walter Schachner als Trainer den GAK zum Double 2004. Im Interview spricht er über die „Schoko-Tabelle“, Sektduschen für Frank Stronach und Gänsehaut in Liverpool.

INTERVIEW: MATHIAS SLEZAK, FOTOS: GEPA PICTURES

Herbst 2002 in Favoriten. Nach zwei erfolgreichen Jahren beim FC Kärnten ist Walter Schachner seit Sommer als Trainer bei der Wiener Austria tätig und mit den Veilchen erfolgreich in die Saison gestartet. Nach 12 Runden liegt das Team mit vier Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze und hat im UEFA-Cup die Erstrunden-Hürde Schachtar Donezk souverän gemeistert.
Aber am 4. Oktober – passenderweise der Welttierschutztag– begibt sich Frank Stronach ins Reich der Tiere und verkündet: „Wenn du mit den Adlern kreisen willst, dann kannst du nicht mit den Hühnern rundherumpecken.“ Er beurlaubt Schachner und präsentiert den Deutschen Christoph Daum als neuen Trainer.

Herr Schachner, wie haben Sie damals von Ihrer Entlassung bei der Austria erfahren?

Walter Schachner: Ich war nach dem Vormittagstraining gerade auf dem Weg nach Hause in die Steiermark, wollte meinem Sohn bei einem Schülerliga-Spiel zuschauen. Am Semmering kam der Anruf von Peter Svetits, ich muss sofort umdrehen und in die Zentrale kommen. Dort hat man mir dann gesagt, dass sie sich für Christoph Daum entschieden haben. Man hat mir nahegelegt, dass ich doch bei ihm mitarbeiten kann – als eine Art Co-Trainer. Nachdem ich sehr erfolgreich war, habe ich das natürlich nicht gemacht. Ich hatte doch selbst Visionen, wollte in die Champions League kommen und dort eine große Rolle spielen. Dieser Traum war dann für mich weg. Da war ich sehr deprimiert beim nach Hause fahren, ich bin alleine im Auto gesessen, und da überkommen dich schon Gedanken, die auch einen harten Profi berühren können.

Das mediale Echo zu Schachners Entlassung ist immens, es wird über fehlende Moral im Fußballgeschäft diskutiert. Der KURIER schreibt: „Kapitalismus in schlimmster Ausprägung, Frank Stronach spielt mit Geld, spielt mit Menschen. Er schafft an und die Moral ab.“ Schachner kündigt in einem ORF-Interview an, nun einmal Abstand vom Fußball gewinnen zu wollen.
Wie das Leben aber manchmal so spielt, gewinnt die Austria im ersten Spiel unter Daum gegen den GAK 4:0, der daraufhin auf den letzten Platz abrutscht und Trainer Christian Keglevits entlässt. Fünf Tage nach seiner Entlassung bei der Austria wird Walter Schachner als neuer GAK-Trainer präsentiert.

Warum sind Sie doch so schnell wieder eingestiegen? Sie hätten auch eine Zeitlang auf Austria-Kosten Urlaub machen können.

In einer ersten Reaktion sagst du „Ich brauche Ruhe, ich muss das verkraften“, aber dann vier, fünf Tage später hast du wieder Lust, siehst das 4:0 der Austria beim GAK und denkst dir: Dort hätte ich auch sein können. Wenn dann ein Verein kommt, redest du mit dem. Bei einem Abendessen mit Rudi Roth haben wir uns eigentlich gleich geeinigt. Der Hannes Kartnig hat dann einen Tag später angerufen – einen Tag zu spät. Wir haben auch gleich eine Länderspielpause mit 14 Tagen Zeit gehabt. In 14 Tagen muss die Viererkette passen – und sie hat gepasst. Der GAK war ja nicht so schlecht, sie haben einige gute Spieler gehabt.

In den ersten sieben Spielen unter Ihnen blieb der GAK ohne Niederlage. Sie wurden schließlich Vizemeister, und es hat die Erfindung der sogenannten „Schoko-Tabelle“ gegeben, in der Sie die Punkte aus Ihrer Zeit als Austria-Trainer mit jenen Ihrer GAK-Zeit addiert haben.

Die hat es gleich gegeben. Als ich das erste Mal in die Kabine gekommen bin und alle noch deprimiert waren, habe ich die schon mitgehabt und aufgehängt. Die Burschen sollten in der Zeitung nicht immer lesen, dass sie Letzter sind. Vom Sieg gegen Kärnten im ersten Spiel weg waren wir immer Erster. Das ist eine Motivation! Ich habe zu den Spielern gesagt: „Diese Tabelle müsst ihr immer im Kopf haben.“

Mit der „Schoko-Tabelle“ hat sich medial viel auf Ihre Person fokussiert. Würden Sie das heute wieder so offensiv machen?

Ja, eigentlich schon. Ich bin dieser Typ und würde mich nicht verändern.

War vor der Saison 2003/04 schon im Hinterkopf, dass man um den Meistertitel mitspielen könnte?

Ja, wir haben gedacht, wenn wir vom letzten Platz weg noch Vizemeister geworden sind, dann können wir im nächsten Jahr um den Meistertitel mitspielen. Ich habe gesehen, dass meine Mannschaft von Spiel zu Spiel und von Monat zu Monat besser wird.

Im Herbst sorgt aber zunächst der SK Rapid mit den jungen Wilden rund um Steffen Hofmann und Andreas Ivanschitz für Furore. Im Frühjahr entwickelt sich ein Titel-Zweikampf zwischen dem GAK und der Wiener Austria. Besonders in den direkten Duellen zeigt der GAK Nervenstärke, gewinnt vier Rundenvor Schluss in Favoriten mit 3:1 und zwei Wochen später das Grazer Derby gegen Sturm trotz einer frühen roten Karte mit 2:0. Die Mannschaft ist auf Meisterkurs.

Was hat den Ausschlag gegeben, dass man in diesen Spielen auch mental bereit war?

Mental war meine Mannschaft immer bereit. Ich habe mit allen Mannschaften, bei denen ich war, ein Teambuilding-Seminar in den Wildalpen gemacht. Das ist kein Kindergeburtstag, dort merkst du den Charakter der Spieler, was sie zu leisten im Stande sind. Da gibt es verschiedene Typen. Ich habe da beim GAK einen Kader gehabt, der ein Wahnsinn war. Das waren Spieler mit einem Charakter und einer Einstellung, die das wirklich wollten.

Der GAK hat eine Runde vor Schluss den Titel fixiert und in der letzten Runde wurde vor 8.000 mitgereisten GAK-Fans in der Südstadt der Meisterteller übergeben– ausgerechnet von Frank Stronach. Hat sich für Sie da ein Kreis geschlossen?

Ich war nie nachtragend, weil Stronach ja nicht der Urheber war, dass ich bei der Austria eliminiert worden bin, das waren andere Personen. Das war wieder vergessen. Er hat dann aber schon viel Sekt über den Kopf bekommen, sollte mit uns mitfeiern, mich umarmen und mir den Teller übergeben – das hat mir schon getaugt.

Und wenige Tage später hat man dann mit dem Cupsieg auch noch das Double geholt.

Ich kann mich noch erinnern, wie wir nach drei Tagen Meisterfeier mit dem Bus nach Salzburg zum Cupfinale gefahren sind. Da haben alle geschlafen und ich weiß nicht, ob alle schon nüchtern waren. Das war enorm, dass die Burschen ihre Leistung gegen die Austria dann noch einmal abrufen konnten.

In der Sommerpause werden Präsident Rudi Roth, Manager Hannes Weninger und Trainer Walter Schachner vom Land Steiermark mit dem Goldenen Ehrenzeichen ausgezeichnet. Der damalige Sportlandesrat Hermann Schützenhöfer spricht von einer „Hollywood-Geschichte.“ Die geht weiter, als der GAK in der Champions-League-Qualifikation auf den FC Liverpool trifft. Im Hinspiel haben die Grazer allerdings keine Chance. Steven Gerrard sorgt mit einem Doppelpack im Schwarzenegger-Stadion für klare Verhältnisse.

Mit welchem Gefühl ist der GAK nach der Niederlage im Hinspiel damals an die Anfield Road gefahren?

Zuhause haben wir die Hose voll gehabt, sind zu schüchtern ins Spiel gegangen. Vor dem Auswärtsspiel bin ich in einem TV-Interview gefragt worden, ob ich Angst vor einem Debakel habe. Da habe ich gesagt, dass man keine Angst haben muss, weil wir Außenseiter sind – und wenn man verliert, dann verliert man halt. Dass wir dann dort durch einen Tokic-Weitschuss mit 1:0 gewinnen und eigentlich dem 2:0 näher sind… da habe ich gemerkt, dass das 4-4-2-System, das ich immer gespielt habe, wirklich auf jedem Niveau funktioniert. Wir waren damals der erste österreichische Klub, der ein internationales Bewerbsspiel auf der Insel gewonnen hat.

War man nach Schlusspfiff stolz auf das Erreichte oder traurig, dass es nicht zur Verlängerung gereicht hat?

Zunächst einmal hat die Euphorie überwogen, die Gesänge der Liverpool-Fans, die uns applaudiert haben. Das war so eine tolle Situation, da hast du Gänsehaut. Du bist zwar ausgeschieden, aber diese Leistung vergisst du nie. Natürlich hätten wir es in die Verlängerung schaffen können, aber Liverpool hätte dort ja auch zulegen können. Da muss man am Boden bleiben. Es war eine tolle Leistung, wir haben sie gefordert!

In dieser Saison 2004/05 wurde der GAK Vizemeister und hat es bis ins Sechzehntelfinale der Europa League geschafft. Wie zufrieden waren Sie mit dem Ausgang dieser Saison?

Es war eine Bestätigung unserer Arbeit. Damals hat es in Österreich vier Vereine gegeben, die Meister werden konnten, da waren wir immer bis zum Schluss vorne mit dabei. Darauf konnten wir stolz sein.

Im Laufe der Zeit wurde die finanzielle Lage des GAK dann angespannter. Leistungsträger haben den Verein verlassen. Wie haben Sie das im sportlichen Bereich mitbekommen?

Wir haben eigentlich weitergearbeitet wie vorher. Dass einer ein Angebot bekommt und weggeht, ist legitim. Dass das Geldbörsel schmäler geworden wäre, haben wir nicht mitbekommen, es ist immer alles pünktlich bezahlt worden. Wir haben immer viel gewonnen, da hat der Verein auch viel zahlen müssen, aber es hätte nie jemand etwas gesagt. Soweit ich weiß, ist es erst 2006 richtig bergab gegangen.

War das Double 2004 rückwirkend gesehen zu teuer erkauft?

Das kann man im Nachhinein natürlich sagen, wenn du viele Prämien zahlst. Man muss ja auch wissen, wie die Verträge gelaufen sind. Bei Meisterprämien, etc. – es hat ja keiner geglaubt, dass du Meister wirst, wenn du Letzter bist. Wenn du den Mustervertrag ausfüllst mit Summen für Meistertitel, Europacup-Teilnahme, Vizemeistertitel…da kann es schon sein, dass das teuer wird.

Sie wurden im Jänner 2006 von damaligen Präsidenten Harald Sükar beurlaubt, ausschlaggebend sollen unterschiedliche Ansichten über die Zukunft des GAK gewesen sein.

Das war wieder ein Schock für mich, wie damals bei der Austria. Wir waren in Schlagdistanz und haben gerade das erste Training nach der Winterpause absolviert. Dort habe ich bei meiner Rede gesagt: „Burschen, wir spielen um den Meistertitel, wir wollen noch einmal Meister werden!“ Kaum war ich fertig, habe ich ins Sekretariat rauf müssen und bin beurlaubt worden. Natürlich habe ich über den Winter gesagt, dass ich ein, zwei Spieler haben möchte. Das war schon eine Forderung, aber das hätte man ja ausreden können. Wenn ein Spieler wegen der finanziellen Lage nicht kommen kann, dann geht es halt nicht. Aber warum muss man mich da gleich beurlauben?

Nach der Trennung im Jänner 2006 läuft es weder für den GAK noch für Walter Schachner nach Wunsch. Der GAK geht 2007 in Konkurs und muss zwangsabsteigen, Schachner wechselt zunächst nach Deutschland zu 1860 München und ist nach seiner Rückkehr nach Österreich noch für Austria Kärnten, die Admira und den LASK tätig. An die großen Erfolge der frühen 2000er kann er bei seinen weiteren Stationen nicht mehr anschließen.

Wenn Sie auf Ihre Trainerkarriere in den 2000er-Jahren zurückblicken: Was bleibt von der Reise, die Sie vom FC Zeltweg zu Cuptiteln und zur Meisterschaft, an die Anfield Road und nach München geführt hat?

Natürlich stechen die Erfolge aus den früheren Jahren heraus. Ich kann aber auf alles stolz sein, was ich gemacht habe. Da waren Sachen dabei, die du nur im Fußball erleben kannst – das prägt dich als Mensch. Das sind Dinge, über die man redet. Und wenn man über etwas reden kann – auch wenn es vielleicht einmal nicht so erfolgreich war –, dann ist es ja auch schön.

Video - Walter Schachner präsentiert seine GAK-Meistermannschaft:

Dieser Artikel ist in der 2000er-Jahre-Spezialausgabe des Bundesliga-Journals erschienen – erhältlich ab sofort im Zeitschriftenhandel und im Abo unter bundesliga.at/journal-abo

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