VAR Harald Lechner: „Richtigkeit vor Schnelligkeit“

27. July 2021 in ADMIRAL Bundesliga

Die VAR-Premiere in der ADMIRAL Bundesliga hätte kniffliger nicht ausfallen können. 4 Minuten und 37 Sekunden werkte Harald Lechner im Video Operation Room, bis er sicher war: Das Ulmer-Eigentor war korrekt. Ein Gespräch über Adrenalin, Verbesserungspotenzial und die kalibrierte Linie.

Herr Lechner, das war ja eine spektakuläre Premiere des Video-Schiedsrichters in der ADMIRAL Bundesliga! Können Sie uns beschreiben, was sich in der elften Minute des Auftaktspieles Sturm Graz gegen Red Bull Salzburg im Video Operation Room in Meidling abgespielt hat?

Selbst habe ich das Tor gar nicht live gesehen, weil ich noch mit einer anderen Situation unmittelbar davor im anderen Strafraum beschäftigt war. In so einem Fall übernimmt der AVAR (Assistant Video Assistant Referee; Anm.) das Livebild. Als ich dann „live“ eingestiegen bin, musste ich mir einmal einen allgemeinen Überblick verschaffen, welcher Spieler wo steht. Danach war klar, dass ich die kalibrierte Linie brauchen werde, um die mögliche Abseitsstellung zu überprüfen. Dafür muss ich zuerst einmal den genauen Zeitpunkt der Ballabgabe bestimmen, um dann bei den betroffenen Spielern jene Punkte zu suchen, wo die Linie anzulegen ist. Als letzten Teil dieser Torüberprüfung muss noch die gesamte Angriffsphase zum Tor kontrolliert werden.

Dem ersten Ergebnis haben Sie nicht getraut, dass Sie dann auch noch eine zweite Linie gezogen haben?

Ich habe die Linie ein zweites Mal gezogen, um auf Nummer sicher zu gehen. Einerseits, weil es wirklich eine sehr knappe Entscheidung war, andererseits, weil wir das auch den Vereinen schuldig sind. In diesem Fall kam dazu, dass ich mir meiner Sache ganz sicher sein musste, weil ich mit der Entscheidung auf „kein Abseits“ und damit „Tor“ ja den Assistenten revidiere, der auf Abseits entschieden hatte. Eine Entscheidung zu bestätigen oder zu revidieren, ist ein großer Unterschied.

Die viereinhalb Minuten, die es bis zur Entscheidung gedauert hat, ist den Betroffenen wie eine Ewigkeit vorgekommen. War’s zu lang?

Mir ist es gar nicht so lange vorgekommen. Aber klar, da bist du so im Tunnel drin, dass du gar nicht merkst, wie lange du jetzt schon gebraucht hast. In diesem Fall hat es sich aber auch deshalb so lange angefühlt, weil das Tor grundsätzlich vom Schiedsrichterteam auf dem Spielfeld aufgrund der Abseitsstellung aberkannt worden war. Wäre auf Tor entschieden worden, hätte es rund eine Minute lang Jubel gegeben, dann wären die Spieler langsam in ihre Hälfte zurückgekehrt. Bis dahin wäre es gar nicht aufgefallen, dass wir schon die ganze Zeit das Tor überprüfen. Weil aber auf „kein Tor“ entschieden wurde, hat natürlich alles sofort auf eine Entscheidung gewartet. Es gibt definitiv Verbesserungspotenzial hinsichtlich der Schnelligkeit, aber dennoch steht Richtigkeit vor Schnelligkeit. Und im Nachhinein bin ich schon sehr zufrieden, dass ich richtig entschieden habe.

Für den VAR hätte ja gar nichts passieren können, als dass er gleich im ersten Spiel eine so schwerwiegende Richtigstellung treffen konnte…

Da müssen wir Schiedsrichter der Bundesliga und dem ÖFB dankbar sein, dass wir die kalibrierte Linie verwenden können. Das war eine Entscheidung dieser beiden Organisationen. Es gibt andere Ligen, in denen diese Linie nicht herangezogen wird. Hätten wir in diesem Fall die Möglichkeit der kalibrierten Linie nicht gehabt, wäre das Spiel sicher ohne Tor fortgesetzt worden. Denn ohne sie war das nicht zu entscheiden.

Sky-Kommentator Marc Janko hat bei der Live-Übertragung geflachst, dass die drei im Video Operation Room jetzt schwitzen werden. Ist’s wirklich hektisch geworden?

Hektik ist keine ausgebrochen, aber das Adrenalin steigt natürlich schon. Schließlich willst du schnell ein Ergebnis bringen. Was schon ein wenig Stress erzeugt hat: Ich war der letzte Entscheidungsträger, weil es sich um eine faktische Entscheidung gehandelt hat. Dabei treffe ich eine Entscheidung, die auf dem Fakt basiert, dass der Spieler Hierländer nicht im Abseits war. Deshalb musste sich Schiedsrichter Altmann die Szene auch nicht mehr auf dem Feld anschauen. Was anderes wäre es bei einer subjektiven Entscheidung gewesen. Zum Beispiel bei einem Handspiel. Da hätte ich gesagt, ich bin zu diesem Ergebnis gekommen, aber schau dir das noch einmal an. Denn die Richtlinien sind schon so, dass der Schiedsrichter auf dem Feld die Entscheidung treffen soll.

Hands-Alarm hat es dann ja auch wirklich noch gegeben…

Ja, es waren sogar drei knifflige Hand-Situationen. Und auch beim ersten Adeyemi-Tor war nicht gleich auf Anhieb zu sehen, ob da nicht doch auch die Hand im Spiel war. Insgesamt haben wir sicher 15 bis 20 Checks, sogenannte Silent Checks, durchgeführt. Und Bookmarks haben wir sicher gut 100 gesetzt, also Stellen vorgemerkt, die wir uns im Falle eines Tores, einer Strafstoßsituation oder einer Roten Karte noch einmal hätten anschauen müssen. Vielleicht hatten wir auch deshalb so viele fragwürdige Szenen, weil bei unserem Spiel elf Kameras die Bilder geliefert haben, in den übrigen Spielen vom Samstag und Sonntag waren es dann meist sechs.

Wenn Sie jetzt die Arbeit des VAR mit jener des Schiedsrichters vergleichen, ist es als Video-Schiedsrichter stressiger?

Es ist anders. Hinter dem Bildschirm muss die Entscheidung stimmen. Von daher schaut es vielleicht von außen gemütlich aus, aber es ist schon eine Herausforderung. Nicht nur der Umgang mit der Technik, man muss als Video-Schiedsrichter auch erst einmal ein Gefühl dafür bekommen, was ein klarer, offensichtlicher Fall ist, denn nur in einem solchen Fall darf er einschreiten.

Ein Schiedsrichter wird ja nach jedem Spiel bewertet, der VAR auch?

Ja, es gibt auch für den Video-Schiedsrichter eine Bewertung. Da wird unter anderem geschaut, wie er an die Sache herangegangen ist, etwa bei der Bildsuche oder beim Umgang mit dem Operator und natürlich auch, wie er einen Fehler entdeckt und kommuniziert hat.

Können Sie sich vorstellen, dass sich Schiedsrichter spezialisieren und dann lieber im Videokammerl sitzen oder wird der VAR irgendwann eher Schiedsrichtern vorbehalten sein, die das Alterslimit überschritten haben?

Beides halte ich für möglich. Im Moment gibt es noch keine Trennung, die Schiedsrichter können für beides eingesetzt werden. Das ist sicher eine Herausforderung. Noch dazu, wo in der  Bundesliga mit, in der 2. Liga aber ohne VAR gepfiffen wird. Dass Schiedsrichter, die für das Feld zu alt sind, als VAR zum Einsatz kommen, könnte schon Sinn machen, weil gerade im Video Operations Room viel Routine gefragt sein wird.

 

Weitere Informationen zum Video Assistant Referee und einen Überblick über die wichtigsten Entscheidungen, die an diesem Wochenende getroffen wurden finden Sie auf var-österreich.at.

Artikel teilen: